Sonntag, 10. September 2017

Wallraf-Richartz-Museum

Gestern habe ich nach längerer Zeit nochmal das Wallraf-Richartz-Museum besucht.

Wallraf-Richartz-Museum 2017

Die Sammlung ist gegliedert in drei Bereiche: Mittelalter, Barock und 19. Jahrhundert.

Die Mittelalter-Sparte soll weltweite Bedeutung haben, was ich, da ich keine Ahnung von dieser Zeit habe, nicht beurteilen kann. Die beiden anderen Sparten bieten aber natürlich mehr als genug sehenswerte Gemälde, vor allem deutschsprachiger, französischer, flämischer und niederländischer Künstler. Italiener oder Spanier waren laut Hinweis eines Museumsführers beim Aufbau des Grundstocks zu hochpreisig, so dass keine Künstler aus Südeuropa im Museum vertreten sind. Auf der Homepage preist die Leitung ihre deutschlandweit größte Sammlung von Impressionisten und Neoimpressionisten an, leider ohne akademische Impressionisten. Dieser Teil des 19. Jahrhunderts hat keinen besonderen Eindruck auf mich hinterlassen, deshalb wird man hier fast keine Abbildung dazu finden.

Aufgrund einer vorbildlichen Initiative ist der komplette Bestand der Kölner Museen, so auch des Wallraf-Richartz-Museums, online zu finden. Einziges Manko ist aktuell die Geschwindigkeit der Seite, aber dieser technische Schwachpunkt wird hoffentlich im Laufe der Zeit verbessert werden.

Georg Flegel - Stillleben mit Hirschkäfer (1635) 
Ferdinand Georg Waldmüller - Der Geburtstagstisch (1840)
Adolf Schrödter - Don Quichote (1834)
Meister der Ursula-Legende - Kreuzigung Christi (Kalvarienberg) (um 1480)
Willem Claesz. Heda - Stillleben mit Römer und Zitrone (1632)

Wenn ich ein oder zwei Bilder als Höhepunkt der Sammlung rausstellen müsste, dann würde ich das direkt vom Künstler erworbene Werk Gustav Richters, das Bildnis der schönen, majestätisch schreitenden Königin Luise von Preußen (1879) und die Trauernden Juden im Exil (1832) von Eduard Bendemann hervorheben.

Gustav Richter - Königin Luise von Preußen (1879)

Meine schlechten Handyfotos können nicht annähernd die hohe Qualität und Wirkung verdeutlichen, welche diese beiden perfekt beleuchteten Gemälde, jeweils Hauptwerke der Künstler, ausstrahlen.

Eduard Bendemann - Die trauernden Juden im Exil (1832)

Ich habe leider keine Zeit für eine ausführlichere Beschreibung, deshalb möchte ich nur unkommentierte Ausschnitte von Gemälden zeigen. Diese bieten jedoch in meinen Augen mehr als genug Anreiz, auch mal die Originale in Köln zu begutachten. Hierbei fällt der Fokus auf ein einziges Bildelement, welches auch in unserem Alltag eine herausragende Bedeutung besitzt. Nämlich das Gesicht, welches bekanntlich der Spiegel der Seele ist. Welche Leidenschaften und Emotionen die Maler des Wallraf-Richartz-Museum verbildlichen, sollen die folgenden Details zeigen, welche bezüglich ihrer Entstehungszeit sortiert sind.

Mittelalter

Meister der Lyversberg-Passion - Lyversberg -Passion (um 1464-1466)

Utrechter Künstler - Bildnis eines Mannes (um 1495)

Albrecht Dürer - Pfeifer und Trommler (um 1503-1504)

Maerten van Heemskerck - Die Beweinung Christi (um 1530)
Bartholomäus Bruyn - Bildnis einer 45jährigen Frau (1538)

Barock

Michiel van Mierevelt - Bildnis einer jungen Frau (1633)
Peter Paul Rubens - Die Heilige Familie (um 1634)
Peter Paul Rubens - Der gefesselte Prometheus (um 1640)
Gerard ter Borch d.J - Bildnis eines jungen Mannes (um 1670)

19. Jahrhundert

Anton Graff - Heinrich Gottfried Bauer evtl. (um 1795)
Carl Begas -Selbstbildnis mit Johann Peter Weyer (1813)
Julius Schnorr von Carolsfeld - Maria mit dem Kind (1820)
Carl Begas - Die Familie Begas (1821)
Eduard Bendemann - Die trauernden Juden im Exil (1832)
Louis Ammy Blanc - Bildnis eines jungen Mädchens (1835)
Paul Delaroche - Herodias mit dem Haupt Johannes des Täufers (1843)
Anselm Feuerbach - Nanna (1861)
Wilhelm Leibl - Johann Heinrich Pallenberg (1871) 
Fritz von Uhde - Familienkonzert (1881)
Ludwig Knaus - Der geleerte Napf (1886)
Franz von Lenbach - Otto Fürst Bismarck (1888)
Franz von Stuck - Pallas Athene (1891)
Lovis Corinth - Kreuzabnahme (1895)
Wilhelm Leibl - Mädchen am Fenster(1899)
Lovis Corinth - Selbstporträt (1918)

Montag, 6. März 2017

Gesunder Menschenverstand

Dies ist die Geschichte vom gesunden Menschenverstand und mir. Die Beziehung war nicht immer glücklich, aber, ich will es vorwegnehmen, sie endete gut.

Bücher

Als ich zur Schule ging, gab es noch kein Internet. Die Bücherei war damals die mit Abstand wichtigste Quelle, um seinen Horizont zu erweitern. Da ich mich schon immer für Geschichte interessierte, rückte irgendwann natürlich auch die Kunstgeschichte in den Fokus. Übersichtswerke zu diesem Thema waren immer gleich aufgebaut.

Rembrandt - Der Mennonitenprediger Anslo und seine Frau (1641)
Öl auf Leinwand (176 x 210 cm)

Zeitreise

Eingeteilt in Epochen werden Renaissance, Barock, Rokoko, Klassizismus und Romantik ausführlich behandelt. Schritt für Schritt, keine Sprünge oder Überraschungen. Die vorgestellten Altmeister verstanden ihr Handwerk, die Unterschiede waren vor allem thematischer Natur. Ich hatte keinen Zweifel, dass diese Maler zu den besten ihrer Zeit gehörten und nicht ohne Grund vorgestellt wurden. Der gesunde Menschenverstand war zufrieden und beobachte ruhig und entspannt das weitere Geschehen.

Caravaggio - Die Kreuzigung des Apostels Petrus (1601/1604)
Öl auf Leinwand (230 x 175 cm)
Ich blätterte das Kapitel zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf, und ab da änderte sich alles. In den Abschnitten über Impressionismus und Pointillismus wurden die technischen Neuerungen gepriesen, welche auf neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren sollten. Mit einer leichten Portion Skepsis und großer Naivität nahm ich diese im Vergleich zum Ergebnis doch arg vollmundigen Verkündigungen für bare Münze.

Georges Seurat- Die Seine an der Grand Jatte - Frühling (1888)
Öl auf Leinwand (65 x 82 cm)

Je schneller jedoch die Kunstgeschichte in Richtung 21. Jahrhundert galoppierte, desto irritierender wurde es. Der gesunde Menschenverstand, der bei den Impressionisten nur leise murrte, bekam nun einen hochroten Kopf. Sein Blutdruck stieg auf 200, denn er konnte nicht glauben, was er in den Büchern sah. Postimpressionismus, Nabis, Fauvismus, Expressionismus, Kubismus, Abstraktion oder Minimal Art wirkten immer dilettantischer. Eine Rückentwicklung von den Höhen der menschlichen Fertigkeiten zurück ins infantile Babystadium wird im vollen Ton der Überzeugung als museumswürdige Leistung gepriesen.

Ernst Ludwig Kirchner- Vier Holzplastiken (1912)

"Halt", "Stopp", "Achtung", "Wirf das Buch weg", schrie der gesunde Menschenverstand. "So einen Quatsch glaubst du?" Ich fühlte mich unwohl, doch ich war so einfältig. Die Litanei, hierin einen Fortschritt zu sehen, wurde immer und immer wiederholt. Die Fachleute können doch nicht alle irren. Da muss was dran sein, es ist Kunst, glaube es doch einfach. Der gesunde Menschenverstand resignierte vor diesem Aberglauben, warf mir ein paar verächtliche Worte zu und verfiel in einen langen Dornröschenschlaf.

Vorbilder

So verging Jahr um Jahr, bis ich eines Tages den drei Weisen begegnete. Kishon, dem ARC und Mani de Li. Diese rüttelten mich und den gesunden Menschenverstand wach und öffneten mir die Augen.

Mein Lieblingshumorist Ephraim Kishon mit seinem Buch Picassos süße Rache, in dem er auf unnachahmliche Art über die Moderne Kunst herzieht. Sowohl die hochgestochenen Ansprüche ihrer Vertreter als auch die exorbitanten Preise, die für solche Werke bezahlt werden, sind für Lacher gut. Einzig Picasso kommt aus meiner Sicht in diesem, als auch im Vorgängerbuch Picasso war kein Scharlatan, zu gut weg.

Dann das Artrenewal Center mit Schwerpunkt auf der akademischen Malerei des 19. Jahrhunderts und ihrer umfangreichen, zum Nachdenken anregenden Philosophie der Kunst. Hier lernt man endlich all die in der Kunstgeschichte und den Medien ignorierten Salonmaler kennen und bewundern.

Pascal Adolphe Dagnan-Bouveret - Schmollend (Gustave Courtois in seinem Atelier) (1880)Öl auf Leinwand (48 x 63 cm)
Und zu guter Letzt der unbesiegte König der Newsgroup-Schlachten, Mani de Li. Keiner hat so klar und deutlich seine Kritik der offiziellen Kunstgeschichte mit gesundem Menschenverstand gepaart. Wer das Original und den Vordenker dieses Blogs hier kennenlernen möchte, sollte auf jeden Fall seinen Internetauftritt Modern Art - A Skeptical View besuchen. Hätte er auf Deutsch geschrieben, würde es meinen Blog nicht geben. Ich vermute, er ist vor ein paar Jahren verstorben, da er leider auf keinem Weg mehr zu kontaktieren ist. Zum Glück konnte ich damals sein HTML-Buch erwerben, in dem er ausführlich auf die Moderne Kunst und ihren Siegeszug eingeht.

Aphorismen

Er streut immer wieder knappe, griffige Redewendungen ein, welche perfekte Munition für einen Kunst-Plausch bieten:
  • Ohne Können keine Kunst (No skill no art)
  • Wenn es eine lange Predigt braucht, um zu verkünden, dass es Kunst ist, dann ist es wahrscheinlich Mist (If it needs a long sermon to proclaim it's art it's probably bullshit
  • Moderne Kunst = 10% Kunstwerk 90% Kunstgeschwafel (Modern Academic Art  =  10% Artwork  90% Artspeak)
  • Wenn Gemälde in Bezug auf Qualität statt einer Signatur beurteilt würden, sähe die Geschichte der Kunst ganz anders aus (If paintings were judged in terms of quality rather than a signature the history of Art would be quite different)
  • Die meisten unserer so frohlockend verkündeten Modernen Meister sind eher Gewinner in der Lotterie, als Genies mit einzigartigen Fähigkeiten (Most of our exulted so called Modern Masters are more like lottery winners rather than geniuses in possession of unique qualities)
  • Moderne Kunst ist wie eine Lotterie. Sie hören nur von den Gewinnern und keinen Piep von den Millionen von Verlierern (Modern Art is like a lottery. You only hear about the winners and hardly a peep from the millions of losers)
  • Eine gute Idee ohne Können umgesetzt ist wertlos (a good idea executed without skill is worthless)
  • Moderne Kunstkritiker können nicht zwischen den Vorzügen der Umsetzung und der Idee eines Kunstwerks unterscheiden (Modern Academic Art critics can’t distinguish between the merits of the physical artwork and the merits of an idea)
  • Was die meisten Modernen Künstler als Selbstausdruck verkünden, ist nicht viel mehr als Selbsttäuschung (What most Modern Artists try to pass of as self expression is little more than self delusion)
  • Man sollte nicht versuchen müssen, ein Kunstwerk zu verstehen (One shouldn’t have to TRY to appreciate an artwork)
  • Wenn eine Malerei kindisch aussieht, ist dies die Schuld des Künstlers, nicht des Betrachters (If a painting looks childish it is the fault of the artist not the viewer)
  • Etwas, das fast jeder nachmachen kann, ist keine Kunst (Anything most anyone can imitate ain’t art)
Wassily Kandinsky - Der Reiter (1911)
Öl auf Leinwand (94 x 130 cm)

Kunst-Test

Er beschreibt drei kleine Tests, die ihm immer wieder treu dienten, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Sie sind einfach und können auch ohne künstlerische Vorbildung oder Geschichtswissen durchgeführt werden.
  1. Der Fähigkeiten-Test (Hat der Künstler etwas erzeugt, was andere nicht können?)
  2. Der Geschmackstest (Wenn dir niemand gesagt hätte, dass es ein tolles Gemälde wäre, würdest du es wirklich eines zweiten Blickes würdigen?)
  3. Der Paraguayische-Flohmarkt-Test (Wenn diese Malerei von einem unbekannten Künstler, auf einem weit entfernten, exotischen Flohmarkt für ein paar Dollar angeboten würde, würdest du es wirklich kaufen?)
Wenn du alle drei Fragen ehrlich mit Ja beantworten kannst, dann hast du wahre Kunst vor dir, auch wenn sogenannte Fachleute das ganz anders sehen.

Nikolay Bogdanov-Belsky - Kopfrechnen in der Ratschinski-Schule (1895)
Öl auf Leinwand (107 x 79 cm)

Ende gut, alles gut

Damit war endlich auch wieder der gesunde Menschenverstand zufrieden. Wir umarmten uns und unsere neu aufgeblühte Freundschaft hält glücklicherweise bis zum heutigen Tag. Mani de Li sei Dank.

Samstag, 18. Februar 2017

Landesgalerie Hannover Teil 4 (Ende)

Fortsetzung 19. und Anfang 20. Jahrhundert

Deutschsprachige Künstler

Ich bin kein großer Freund des deutschen Impressionismus. In einer Liste meiner Top-20 Maler dieser Stilrichtung würde man nur einen Deutschen finden. Lovis Corinth, dessen kreative, außergewöhnliche Bildideen immer wieder beeindrucken. 
Wer einen schön bebilderten Überblick über den internationalen Impressionismus erhalten möchte, dem sei das günstig zu erwerbende Buch Impressionismus. Eine internationale Kunstbewegung 1860 - 1920 ans Herz gelegt.

Heinrich Dreber (1822 - 1875)

Der Dresdener Maler Heinrich Dreber ist mit einem großen, für eine italienische Villa bestimmten Gemälde in der Sammlung vertreten. Er teilte die Begeisterung seines Lehrers Ludwig Richter für idyllisch, friedvolle Szenen. Dank einer Erbschaft konnte er in Italien auf den Pfaden der klassischen Bildungsreise wandeln und nachfolgend seinen Wohnsitz dorthin verlegen. Bis auf kleine Abstecher sah ihn seine Heimat nie mehr wieder.
Der Auftraggeber des Gemäldes der Landesgalerie bestellte ein Arkadien-Motiv mit Blüten pflückenden Frauen, kleinen Kindern und dem obligatorischen Hirten. Also genau das Metier, welches Dreber mit Vorliebe bediente.

Heinrich Dreber - Tiberlandschaft im Frühsommer (1870/72)

Nah wirkt das Bild aufgrund der verwischten Malweise etwas unscharf, aber aus einer gewissen Entfernung entfaltet es seine volle Wirkung.

Heinrich Dreber - Tiberlandschaft im Frühsommer (1870/72) - Detail


Max Liebermann (1847 - 1935)

Mein Freund Liebermann kann malen, aber sein großes Problem ist, dass er es oft nur andeutete. Die Komposition und Lichtführung sind gefällig, jedoch war er an Vollendung im Detail nicht interessiert. Deshalb sind seine Bilder meist nur Studien, die nicht mehr als einen ersten gefälligen Eindruck bieten. Alles ist vage angedeutet, aber nichts verfeinert. Wenn er aber doch mal ein wenig fleißiger war, wie auf manch holländischen Bildern, kann er auch länger anziehend sein.

Max Liebermann - Holländische Dorfstraße (1885)
Ein Beispiel hierfür ist die Szene auf der holländischen Dorfstraße, bei der die beiden Bäuerinnen zum kurzen Plausch ihre Arbeit unterbrechen. Links und rechts von ihnen geht das Leben weiter, jeder ist mit seinen Aufgaben oder dem Spiel beschäftigt.

Max Liebermann - Holländische Dorfstraße (1885) - Detail
Die Momentaufnahme ist kein genau so erlebtes Szenario, sondern wurde im Studio aufgrund von Skizzen seiner Hochzeitsreise aus dem Jahr davor komponiert. Eben so, wie es seit Jahrhunderten gute alte Tradition war.

Ein anderes Bild der Sammlung stammt aus der Zeit seiner frühen Pariser Jahre und ist beeinflusst durch die Schule von Barbizon. Eines der Lieblingsthemen dieser Maler, Millet sei nur genannt, war die Darstellung von Bauern bei der Arbeit. Ungeschönt, aber doch komponiert.

Max Liebermann - Arbeiter im Rübenfeld (1874/75-76)
Liebermann schloss sich diesem Motivkanon an, in dem er in klassischer, friesartiger Darstellung neun Feldarbeiter(innen) aufgereiht darstellt. Es besteht kein Gleichklang zwischen den Personen. Jede ist mit einer anderen Haltung abgebildet. Das Bild würde eine ganz andere Wirkung erzielen, wäre die Bewegung der Arbeiter völlig synchron. Ein Gemälde des sozialistischen Realismus würde damit den Erfolg gemeinsamer körperlicher Arbeit glorifizieren. Solch eine politische Botschaft war natürlich überhaupt nicht in dem Sinne des freiheitlich denkenden Liebermanns. Er fand einfach das Leben der Bauern malerisch und gut geeignet für seine großen Werke. Nicht mehr und nicht weniger.

Max Liebermann - Arbeiter im Rübenfeld (1874/75-76) - Detail
Eine kleine Anmerkung noch. Das Gemälde ist sehr dunkel und dies bestimmt nicht nur aufgrund seines Erhaltungszustands. Man sieht hier anschaulich, dass breiter, impressionistischer Stil nicht immer mit heller Farbgebung verbunden sein muss.

Gotthardt Kuehl (1850 - 1915)

Es gibt zwei Gruppen von akademischen Malern, die in ihren späteren Jahren den Impressionismus umarmten. Zum einen diejenigen Künstler, denen das technische Können für vollendet gemalte Gemälde sowieso fehlte und die freiere Technik der Impressionisten automatisch entgegenkam. Ein Beispiel ist der später vorgestellte Trübner. Zur anderen Gruppe gehören Künstler, die Bilder in beiden Stilen malen können, so wie der hier im Blickpunkt stehende Gotthardt Kuehl.

Gotthardt Kuehl - Der Besuch (um 1900)
In jüngeren Jahren malte er einige tolle, technisch vollendete Genrebilder. Aber sein elfjähriger Aufenthalt in Paris überzeugte ihn von den neuen Strömungen in der Kunst. Dadurch wurde sein Pinselstrich breiter. Deshalb kann man seine frühen Gemälde gut von den aus späteren Jahren unterscheiden.
Das Bild in Hannover wird deshalb erst auf 1900 geschätzt. Sein Titel ist Der Besuch, was überraschend ist, wenn man das Bild betrachtet.

Gotthardt Kuehl - Der Besuch (um 1900) - Detail
Wo ist der Gastgeber? Wer hat die Tür geöffnet? Hatte die etwas zögerlich eintretende Dame einen Schlüssel? Warum hat Kuehl zwei Paar Hausschuhe gemalt? Wieso ist der Vorhang geschlossen?

Gotthardt Kuehl - Der Besuch (um 1900) - Detail

Ist dir klar, was hier geschieht? Vielleicht mussten die Gastgeber wegen eines dringenden Notfalls früh am Morgen ihre Wohnung verlassen. Nun stand ihr Besuch, eine gute Freundin, vor der Tür und wunderte sich, warum keiner da ist. Genau für solch einen Fall wurde ihr vor längerer Zeit ein Ersatzschlüssel anvertraut. So öffnete die Dame zögerlich die Tür. Diesen Moment der Spannung malte Kuehl, der uns aber keine weiteren Hinweise darüber gibt, was genau geschah.

Franz Skarbina (1849 - 1910)

Skarbina gehört zu den bekanntesten Berliner Impressionisten. Obwohl er an der Akademie ausgebildet war und dort über viele Jahre als Professor lehrte, stand er den neuen Richtungen in der Kunst aufgeschlossen gegenüber. Da er die Entscheidung im Fall Munch (meine Meinung dazu hier) nicht stützen wollte, trat er aus dem mächtigen Verein Berliner Künstler aus.
Mit anderen Abtrünnigen gründete er, als zweitältestes Mitglied hinter Liebermann, die Vereinigung der Elf. Auch sein Lehramt legte er im Jahre darauf nieder. Das Skarbina kein Sturkopf war, zeigte sich einige Jahre später, als er wieder in den Verein Berliner Künstler eintrat. Aber auch Anton von Werner war nicht nachtragend. Er verlor in seiner Autobiografie kein böses Wort über seinen Freund, dessen Ausscheiden er sehr bedauerte.

Franz Skarbina - In der Katharinenkriche zu Hamburg (1892)
Franz Skrabina malte mit Vorliebe Frauen. So wundert es nicht, dass auch in einem seiner wenigen Kirchen-Interieurs (eigentlich habe ich gar kein anderes gefunden) eine Besucherin im Mittelpunkt steht. Die Frau übt, unbeachtet von den Jungen im Hintergrund, für die kommende Chorprobe. Das grünliche Licht aus dem Vorraum erzeugt einen angenehmen Kontrast zu dem sonst fast nur in Brauntönen gehaltenen Bilde.

Franz Skarbina - In der Katharinenkriche zu Hamburg (1892) - Detail
Der Maler Ferdinand Hodler gehört zu den bekanntesten Malern der Schweiz. Ich finde seine großflächige Jugendstil-Malerei aber eher einschläfernd, sie berührt mich meist nicht. Je neuer die Bilder, umso weniger kann ich Positives an ihnen entdecken.
Überzeuge dich selber. Man kann bei The Athenaeum, dort sind aktuell 139 Bilder Hodlers hochgeladen, eine chronologische Sortierung einstellen (siehe hier).
Das Gemälde der Landesgalerie ist eines seiner besseren Werke. Inhaltlich war es an die Vorgaben einer Wettbewerbs-Ausschreibung gebunden, welche die Darstellung von Reisenden in den Alpen verlangte.

Ferdinand Hodler - Die Vision (1889)
Hodler Umsetzung ist etwas verwirrend und man weiß nicht genau, was der Titel Die Vision suggerieren soll. Ursprünglich waren links oben auf dem Felsmassiv drei Bergsteiger abgebildet. Sollte der Blick zu diesen Männern hoch die Vision der einsam kletternden Dame verdeutlichen, dieses für sie noch so ferne Ziel zu erreichen. Vielleicht schien dies Hodler am Ende doch zu profan und er wollte eine höhere, mystische Symbolik andeuten. Deshalb übermalte er vor Abgabe seines Beitrags die drei Bergsteiger und ließ die Kletterin alleine übrig in der abgelegenen Bergregion. Ihre Sinne sind von den mächtigen Felsen und der Höhenluft benebelt und die irreal leuchtenden gelben Wolken verdeutlichen, dass sie hier in eine andere Sphäre außerhalb der menschlichen Trivialitäten eintritt.

Ferdinand Hodler - Die Vision (1889) - Detail

Otto Modersohn (1865 - 1943)

Eines der schönsten Bilder der gesamten Sammlung ist die große Moorlandschaft Otto Modersohns. Die Aufhängung direkt neben dem akademischen Meisterwerk Pilotys bildet einen interessanten Kontrast, der keinem der beiden Werke schadet.

Otto Modersohn - Moorlandschaft (1903)
Es ist ein Stimmungsbild mit einer besonderen Ausstrahlung, die im Betrachter unterschiedlichste Gefühle hervorlocken kann.

Otto Modersohn - Moorlandschaft (1903) - Detail

Ich war überrascht, auf der Informationstaffel das Bild ganz anders gedeutet zu finden, als ich es gesehen habe. Dort wird das junge Mädchen
... als Träger der Hoffnung aufzufassen sein, dass das alt Hergebrachte sich erneuernd weiter Bestand habe. Eine solch auch politisch zu verstehende Auffassung von Heimat war in Worpswede durchaus gängig.
Mein erster Eindruck war völlig anders. Ich war an Szenen aus Filmen von Tim Burton, wie Alice im Wunderland, erinnert. Das kleine Kind ist einsam und verlassen, sie hat sich verlaufen. Seit Stunden irrte sie verloren hin und her. Die Zeit rinnt davon und der dunkle Abend naht. Von Minute zu Minute wirkt die Landschaft unheimlicher. Wohin nun? Weiter gerade aus kann sie nicht, das Wasser wird sie verschlingen. Auch der Rückweg ist durch den sich biegenden Baum abgeschnitten. Sie ist gefangen.

Otto Modersohn - Moorlandschaft (1903) - Detail
Wollen wir hoffen, dass es doch noch ein glückliches Ende gab. Diese Gemälde ist jedenfalls das mit Abstand eindrucksvollste Bild eines Worpsweder Malers, welches ich bisher gesehen habe.

Paula Modersohn-Becker (1876 - 1907)

Voller Stolz vermerkt die Onlineseite des Landesmuseums, dass nach langer Zeit, erstmals seit über zehn Jahren, wieder nahezu alle 35 Gemälde der Paula-Sammlung präsentiert werden. Die Freude war bei mir gemäßigter. Außer ein paar Bilder aus ihrer frühen Zeit finde ich ihren dilettantischen Realismus meist schrecklich. Langweilige, simple Stillleben und Bildnisse, keine Komposition, keine Technik. Meine Meinung zum Expressionismus habe ich ja mehrfach geäußert, siehe zum Beispiel hier. Deshalb darf es niemand verwundern, dass ich nur ein Bild gefunden habe, welches mir aufgrund seines ungeschönten Naturalismus gefiel.

Paul Modersohn-Becker - Stillende Mutter (um 1903)
Die stillende, lebenspendende Mutter ist seit Menschengedenken ein Motiv in der bildenden Kunst. Als Maria lactans wird es im Zusammenhang mit der Mutter Gottes bezeichnet. Paula Modersohn-Beckers Bild hat jedoch keinen religiösen, sondern einen weltlichen Hintergrund. Es wird keine ihr Neugeborenes in inniger Liebe bestaunende Mutter, sondern eine besorgt in die schwere Zukunft blickende Frau mit Ängsten und Sorgen gezeigt. So wie das Leben eben nun mal leider häufig ist.
Technisch hat das Bild seine Schwächen. Die Fußstellung des Kindes oder die linke Hand der Mutter mit der Teufelskralle sehen schon sehr merkwürdig aus. Die grobe Malweise ist eher amateurhaft. Aber immerhin, dies ist bestimmt eines ihrer besten Werke.

Lovis Corinth (1858 - 1925)

Wie schon oben erwähnt, ist Corinth mein Favorit unter den deutschen Impressionisten. Seine Bildfindungen sind oft ungewöhnlich und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Aufgrund seiner groben, hingespachtelten Malweise ist der Markt natürlich auch mit vielen Schnellschüssen übersät, doch es gibt genug von ihm, das eines zweiten Blickes wert ist.
In seinen Selbstbildnissen lotet er alle möglichen Empfindungen aus. Er idealisiert sich zum ritterlichen Helden oder zum deformierten Wrack. Himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt.
Er scheut nicht zurück vor nackten Tatsachen oder Blut und ergötzt sich an außergewöhnlichen Perspektiven. Überraschend sachlich und klar, für solch einen intensiven Maler, ist seine Selbstbiographie, die man online zum Beispiel hier kostenlos lesen kann. Es lohnt sich.

Das größte Bild Corinths der Sammlung in Hannover ist eine Totenklage ohne konkreten Hintergrund aus Sage, Religion oder Literatur.

Lovis Corinth - Totenklage (1908)
Ein junger Mann liegt tödlich verwundet am Boden. Wir erkennen verschiedene kleinere Verletzungen am Oberkörper, aber woran er genau gestorben ist, sehen wir nicht. Es hat auf jeden Fall einen Kampf gegeben, da der Tote noch sein Schwert in der linken Hand hält. Obwohl Corinth mit Blut spart, wird man aufgrund der extremen Nahsicht, der verzahnten Körper und verzerrten Gesichter in das Geschehen hineingezogen.

Lovis Corinth - Totenklage (1908) - Detail
Vielleicht möchte der Anführer in der Mitte gleich unseren Ratschlag hören, wie wir auf diesen schmerzhaften Verlust reagieren sollen. Die Gedanken rasen. Wut und Trauer bestimmen unser Denken. Was ist jetzt zu tun, wir müssen eine schnelle Entscheidung treffen.
Bei diesem Bild ging es dem Maler nur um das menschliche Schicksal. Die Landschaft würde nur ablenken, deshalb hat er ganz auf sie verzichtet. Auch die Perspektive muss nicht vollkommen realistisch sein. Die Wirkung war ihm wichtiger. Die Proportionen des Anführer sind übertrieben. Er wäre ein Riese, würde er stehen. Aber aufgrund dieser Komposition bekommt er ein noch größeres Gewicht in der Darstellung.

Corinth liebte die Frauen und die Frauen liebten ihn. Nicht nur als Liebhaber, sondern auch als Lehrer der Malerei. Denn er verwirklichte Anfang des 20. Jahrhunderts seinen Traum von einer eigenen Malschule nur für Damen. Für Frauen war es zu der Zeit immer noch schwer, die Künstlerlaufbahn einzuschlagen. Sie wurden als Mal-Weiber belächelt und nicht ernst genommen. Doch solche gesellschaftlichen Vorurteile interessierten ihn nie. Seine erste Schülerin wurde seine Frau, obwohl sie nur ungefähr halb so alt war wie Corinth. Konventionen und Standards lagen ihm fern. So auch in seinen Aktbildern.

Lovis Corinth - Italienerin im gelben Stuhl (1912-13)
Er malte keine makellosen, schlanken Idealgestalten, sondern Frauen aus dem wirklichen Leben. Rundungen werden nicht kaschiert, sondern betont. Die Haut ist, wie bei den flämischen Barockmalern, in unterschiedlichsten Tönen gemalt und hat wenig mit der glatten, perfekten Haut vieler Salonmaler gemein.

Lovis Corinth - Die Nacktheit (1908)
Das macht diese Darstellungen in meinen Augen viel anziehender, als all die geleckten, austauschbaren Aktdarstellungen der meisten akademischen Maler.

Lovis Corinth - Ruhender Akt (1910)
Dabei verzeiht man ihm auch die ein oder andere Faulheit, wie zum Beispiel an den schnell hingeschluderten Händen.

Lovis Corinth - Details

Ende 1911 erlitt er einen Schlaganfall und war halbseitig gelähmt. Deshalb nimmt die Qualität seiner Bilder ab 1912 stetig ab. Sie werden immer skizzenhafter und haben nur noch wenig mit Kunst zu tun.
Aber immer wieder schimmert ein reizvolles Werk durch, welches zeigt, dass auch mit wenigen Strichen, in der Hand eines geschulten Meisters, etwas Kunstvolles entstehen kann.

Lovis Corinth - Dame im Pelzmantel (1921)
Mit breiten, gleichgerichteten Pinselstrichen malte Corinth das Gesicht der lächelnden Dame. Sie strahlt uns mit ihren weißen Zähnen freudig an. Man bekommt direkt gute Laune. Danken wir dem Maler für die Abwechslung, nach all den bierernsten Porträts, die man sonst in Museen erblickt, ein glückliches Antlitz zu sehen.

Lovis Corinth - Dame im Pelzmantel (1921)
In seinem Buch, Erlernen der Malerei, schrieb Corinth Folgendes:
Der Stoff kann hundertfach behandelt sein; wie der bestimmte Maler ihn auffasst, das macht das Bild neu und zum Kunstwerk.
Das war keine Maxime, der er krankhaft folgte, die ihm aber immer mal wieder glückte. So auch in dem Bildnis der Dame mit dem gigantischen Hut nach neuster Mode, der ein Großteil der oberen Bildfläche einnimmt.

Lovis Corinth - Bildnis Frau Luther (1911)
Hat man dieses Bildnis einmal gesehen, vergisst man es so schnell nicht mehr. Die sich vornehm gebende Frau Luther, Gattin eines erfolgreichen Zuckerexporteurs, ist in Dreiviertelfigur dargestellt. Sie schaut uns mit ihren großen Augen selbstbewusst an, ihrer neuen gesellschaftlichen Stellung entsprechend. Das Schoßhündchen ist bis in unsere Zeit hinein ein Symbol der Damen der besseren Gesellschaft. Die Farbgebung dieses dekadenten Porträts ist mit den verschiedensten Blautönen und dem rosa-lila Kopfschmuck des Hundes besonders auffällig.

Lovis Corinth - Bildnis Frau Luther (1911) - Detail
Das Gemälde ist eines derjenigen impressionistischen Bilder, die perfekt abgerundet sind und bei denen sogar ich keine Vollendung in den Details vermisse. Hier ist Corinth ein wirklich tolles, fesselndes Bildnis gelungen.

Max Slevogt (1868 - 1932)

Den Bildern Slevogts sieht man an, das er akademisch geschult ist. Die Kompositionen sind meist gefällig und den Salonmalern nahe. Aber der Mangel an ordentlichen Feinschliff degradiert sie meist nur zu gefälligen Studien, die früher nicht die private Sammelmappe großer Meister verließen. Ich sehe ihn nicht auf einer Stufe mit Corinth, aber er zählt bestimmt zu den besten deutschen Impressionisten.
In Hannover sind einige Werke von ihm ausgestellt, wobei ich zwei Bildnisse und ein dramatisches Geschehnis herauspicken möchte.

Der im vollen Profil abgebildete Herr hat ein markantes Gesicht, welches sowohl strenge als auch freundliche Züge besitzt.

Max Slevogt - Bildnis des Schauspielers Emil Thomas (1903)
Meine Vermutung war Theologe, aber es ist der bekannte Schauspieler und Theaterdirektor Emil Thomas. Slevogt hat ihm mit wechselnder Pinselrichtung und hellen und rötlichen Farbakzenten einen lebendigen Ausdruck verliehen.

Max Slevogt - Bildnis des Schauspielers Emil Thomas (1903) - Detail
Das folgende Gemälde einer schwarzhaarigen Dame wurde beim Erwerb 1911 als Weibliches Bildnis (Skizze) bezeichnet. Hierbei sind zwei Dinge auffällig. Zum einen der Verweis auf das Skizzenhafte der Darstellung. Manch Museumsbesucher wird die Unterscheidung zwischen Skizze, Studie und fertiges Gemälde gar nicht kennen, da wir durch das gleichmachende Axiom, alles sei Kunst, indoktriniert sind.
Das hier abgebildete Werk sollte einen ersten Eindruck von der Person vermitteln, mehr nicht. Skizzen auf diesem Niveau malte ein akademischer Maler hundertfach in seinem Leben. Slevogt selber hätte es nicht als Museumsreif betrachtet.
Aufgrund der ganzen Kriegsverluste und dem Weg in den Papierkorb, den solche Werke häufig fanden, ist es dennoch eine interessante Erweiterung der Sammlung.

Max Slevogt - Weibliches Bildnis (um 1902)
Die schöne, mit breitem Pinselstrich gemalte Skizze, stellt eine etwas zerzaust ausschauende, schwarzhaarige Dame dar. Und damit wären wir bei der zweiten Auffälligkeit. Es wird nämlich kein konkreter Name genannt. Es gibt jedoch eine Vermutung auf der Informationstafel, die mir plausibel erscheint. Auf der Rückseite steht in Bleistift notiert: Kopf E.B..Es besteht die Vermutung, dass es sich hierbei um die Schauspielerin Elsa Berna handelt. Wenn man Slevogts Bild mit der Getty-Fotografie der Schauspielerin vergleicht, könnte dies schon stimmen. Ähnlichkeiten, zum Beispiel der Mund, sind definitiv vorhanden. Was meinst du?

Slevogt war ein schlauer Fuchs. Er liebte seit jeher die Darstellung von Kämpfen. Die Konfrontation von Mann und Frau ist hierbei ein besonders reizvolles Motiv. Er wollte jedoch nicht die ausgetretenen Pfade des Frauenraubs in der klassischen Mythologie gehen (Raub der Persephone oder der Raub der Sabinerinnen), sondern einen etwas anderen Akzent setzen.

Max Slevogt - Frauenraub (1905)
Da kam er auf die Idee des grün wuchernden Dschungels, um die Aufmerksamkeit auf sein Bild zu lenken. Ein wilder Mann überfällt sein weibliches Opfer. Im Gegensatz zum Bildtitel und der martialischen Beschreibung der Informationstafel (überfällt, zerrt, gewaltsam zu Boden reißen) hatte ich, naiv wie ich bin, die Szene erotisch aufgeladen, als Spiel gedeutet.

Max Slevogt - Frauenraub (1905) - Detail
Nach dem Motto: Was sich liebt, das neckt sich. Grund für meine Einschätzung ist der Blick der Frau, den ich im Museum als leichtes Lächeln auslegte. Aber die Nahsicht am Computer überzeugte mich doch von der Ansicht der Kuratoren. Einfach für den Betrachter ist es bei der schwammigen Malweise jedenfalls nicht.

Max Slevogt - Frauenraub (1905) - Detail

Wilhelm Trübner (1851 - 1917)

Trübner ist bei den Kritikern beliebt, weil er den Sprung vom akademisch ausgebildeten Maler zum Impressionisten geschafft hat. Das ist kein Wunder, denn seine frühen Gemälde, wie das der Landesgalerie, sind schon immer mit relativ breitem Pinsel gemalt.

Wilhelm Trübner - Balgende Buben (1872)
Wenn das Bild der raufenden Jungen von einem Maler der Biedermeierzeit stammen würde, wäre es wohl zu Unrecht als veraltet und kitschig abgestempelt worden. Mit der richtigen Signatur sieht es aber ganz anders aus.

Wilhelm Trübner - Balgende Buben (1872) - Detail
Wie die Informationstafel anmerkt, sind der Umsetzung, typisch für die akademische Vorgehensweise, Einzelstudien vorausgegangen, die dann in dem Gemälde zusammengesetzt wurden.
In Vergleich zu anderen Malern seiner Zeit wirkt das Endergebnis immer noch studienhaft. Nichtsdestotrotz hat das Bild aufgrund des unterhaltsamen Motivs seinen Reiz. Einige der gerade ordentlich durchgeprügelten Jungs würden dies wohl anders sehen. Aber es wird hoffentlich für alle Kinder glimpflich ausgegangen sein.

Wilhelm Trübner - Balgende Buben (1872) - Detail

Albert Weisgerber (1878 - 1915)

Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Was hat ein Bildnis aus neuer Zeit in der Sammlung des frühen 20. Jahrhunderts verloren.

Albert Weisgerber - Selbstbildnis (1908)
Der junge Mann sieht mit seinem offenen Hemd und dem locker sitzenden Blazer wie eine Person unserer Zeit aus. Jedoch ist das Selbstbildnis schon 1908 entstanden. Gemalt hat es der mir bisher völlig unbekannte Albert Weisgerber. Er schaut auf dem Gemälde selbstbewusst, mit klarem Blick, in die Ferne.

Albert Weisgerber - Selbstbildnis (1908) - Detail
Nicht zu Unrecht, denn er hatte in den Jahren zuvor erste Bilder an Museen verkauft und eine hoffnungsvolle Zukunft vor sich. Doch das Schicksal wollte es anders. Der 1.Weltkrieg brach aus und der Tod nahm ihn, wie so viele seiner Zeitgenossen, allzu früh zu sich. 
An dem Gemälde von Brandenburg kann man eine Deutung des häufig verwendeten Begriffs des Malerischen erklären.
Dieses Wort wird mit den verschiedensten Intentionen verwendet, als da wären:
  • Das Motiv des Bildes ist malerisch. Es ist schön und gefällig anzusehen, was immer auch der Einzelne darunter versteht.
  • Die technische Umsetzung wird als malerisch aufgefasst bezeichnet. Damit ist letztendlich alles gemeint, das nicht vollendet gemalt ist. Die Pinselarbeit ist noch zu erkennen, Details werden nur angedeutet.
  • Eine dritte Deutung ist das Phänomen, bei dem man in Nahsicht nur einzelne, scheinbar zufällige Pinselstriche sieht, dann aber, beim Zurückgehen, das wahre Bild vor Augen erscheint. Ein kleines Wunder also. Man erkennt auf einmal den Arm, die Nase, das Kleid in ihrer vollen, voluminösen, räumlichen Ausprägung. Oder, mit anderen Worten, das Malerische ist die Umwandlung vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale. Soweit die Theorie, die in der Praxis dann meist doch an fehlendem Können scheitert, weil nur die wenigsten ein Velázquez oder Frans Hals sein können. Der Kritikerpapst Mani de Li hat diesem Effekt in seinem Buch übrigens ein ganzes Kapitel gewidmet.
Martin Brandenburg - Blühender Bauerngarten an der Ostsee (um 1918)
Brandenburgers Bild passt perfekt zur dritten Variante. Denn der Unterschied zwischen Nah und Fern ist verblüffend. Direkt vor dem Bild stehend sieht man ein faszinierendes Farbtupfer-Chaos, welches sich aus weiterer Entfernung in einen grünen Garten verwandelt.

Martin Brandenburg - Blühender Bauerngarten an der Ostsee (um 1918) - Detail
Vielleicht würde hier sogar der Begriff des umgekehrt malerischen passen, da das Gemälde von Fern eher langweilig ist, aber von Nah eine außergewöhnliche Pinselakrobatik enthüllt, die bei einem realistischen Motiv ihres Gleichen sucht.
Dieses Vorgehen scheint, wenn man dies anhand der paar anderen Bilder im Internet überhaupt beurteilen kann, eine Ausnahme im Schaffen des Künstlers gewesen zu sein. Das technische Kunststück ist zwar zu Beginn ein Blickfang, verkaufte aber auf Dauer keine Bilder.
Mich, der normalerweise keinen großen Wert auf die Pinsel-Handschrift legt, hat diese Malerei auf jeden Fall beeindruckt.

Fazit

Wer die Möglichkeit hat, Hannover zu besuchen, darf die Landesgalerie auf keinen Fall verpassen. Der Eintritt ist billig, die Sammlung breit, für jeden ist etwas dabei. Viele Gemälde sind Teil des Kulturerbes Niedersachsen und können dort online in hoher Auflösung betrachtet werden.