Sonntag, 27. September 2015

Mythen der Moderne

Ich bin blind, leide unter Geschmacksverirrung und habe keine Ahnung von Kunst.

Jedenfalls, wenn ich dem Buch Kaisers Rumpelkammer von Simon Winder glauben schenken darf. Der Autor schafft es, auf einer einzigen Seite (S. 563) einen riesigen Haufen Plattitüden anzuhäufen, den er mit voller Überzeugung in unser Gesicht wirft. Ziel seines Spotts ist der Malerfürst Hans Makart, der unter dem Dung der Vorwürfe nicht mehr zu erkennen ist.

Mythos 1: Akademische Maler haben keine Verbindung zur Tradition

Maler wie Hans Makart schufen eine endlose Reihe von degoutant überladenden Leinwänden, die alle Kunsttraditionen der Vergangenheit zu verspotten scheinen

Das ist völliger Quatsch, denn Makart steht mit seiner akademischen Vorgehensweise, den vielen vorbereitenden Studien, Kompositionsskizzen, seiner technischen Meisterschaft und realistischer Malerei, voll und ganz in der Tradition der großen Maler seit Beginn der Renaissance.

Hans Makart- Der Triumph der Ariadne (1873-1874) - Öl auf Leinwand (207 x 186 cm) [Public domain], via Wikimedia Commons

Damit ist er viel eher mit den großen Altmeistern der Malerei verbunden, als all die dilettantischen Kleckser, die im 20 und 21. Jahrhundert nach ihm kamen. Denn sie haben das Band verleugnet, welches alle großen Künstler der vergangenen Jahrhunderte zusammenhielt. Nämlich das Streben nach handwerklicher Virtuosität.

Titzan - Bacchus und Ariadne (1520-1523) - Öl auf Leinwand (176,5 x 191 cm) [Public domain], via Wikimedia Commons

Mythos 2: Historismus ist minderwertig

das farbige Äquivalent der gewaltigen Ringarchitektur, das man heute kaum mehr erträgt

Hallo. Gerade wegen dieser imposanten Historismusbauten kommen Millionen Touristen jährlich nach Wien.

Naturhistorische Museum Wien (By Gryffindor (Own work) via Wikimedia Commons)

Zum Glück sind die Verantwortlichen in der Nachkriegszeit nicht auf die Idee gekommen, diese verspielten, beeindruckenden Bauten durch langweilige, viereckige Klötze zu ersetzen. Ein Spaziergang durch Wien hätte dadurch jeden Reiz verloren.

Burgtheater, um 1900 (von Unbekannt [Public domain oder Public domain], via Wikimedia Commons)

Der Vorwurf, ein Mischmasch der Stile zu sein, ist nicht per Definition eine Schwäche, sondern kann eine Stärke sein. Dem Maler oder Architekt steht die ganze Welt seiner Vorgänger offen. Er kann diejenigen Rosinen herauspicken, welche am besten seinen aktuellen Ideen entsprechen. Was nützt der reine Stil, wenn er so lieblos und langweilig wie das Bauhaus ist.

Walter Gropius - Bauhaus-Gebäude in Dessau (By Lelikron (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons)

 

Mythos 3: Moderne Kunst steht auf den Schultern von Giganten 

und der Bruch zwischen Makart und den späteren Helden der Moderne ist viel weniger eindeutig, also man hoffen möchte.

Falsch, der Bruch ist radikal und vollständig.

Piet Mondrian - Komposition in Oval (1914) - Öl auf Leinwand [Public domain], via Wikimedia Commons

Die Moderne steht mit ihrer kindischen Krakelei, der Anpreisung einfachster Striche als tiefgründige Kunst, in keiner Linie zu den großen Meistern der Malerei. Handwerkliche Perfektion und langjähriges Studium haben für die Moderne keine Bedeutung. Jeder kann ein Künstler sein. Ein Witz, den man erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ernst nimmt. Rembrandt, Tizian, Vermeer, Rubens oder Tiepolo sind heute noch bedeutend wegen ihres großen technischen Könnens. Ohne diese Fähigkeiten wären sie schon lange von der Bildfläche der Geschichte verschwunden.

Rembrandt - Selbstporträt (1640) - Öl auf Leinwand (102 x 80 cm) [Public domain], via Wikimedia Commons

Mythos 4: Moderne Kunst ist kreativ 

...dass wahrhaft kreative Künstler gar nicht anders konnten, als die Moderne ins Leben zu rufen

Wer glaubt so was? Schon mal die Bilder der bekannten Maler der Moderne gesehen? Wikipedia zählt zum Beispiel Henri Matisse, André Derain, Pablo Picasso, Georges Braque, Max Beckmann, Franz Marc, Paul Klee und Piet Mondrian zu ihnen. Der Großteil ihrer Ergüsse sind schnell hingeschmierte, dilettantische Versuche mit simpelstem Inhalt.

Franz Marc - Akt mit Katze (1910) - Leinwand (86,5 x 81,5 cm) [Public domain oder Public domain], via Wikimedia Commons

Frederic Leighton - Cimabues Madonnenprozession in Venedig (1853-1855) - Öl auf Leinwand (231,8 x 520,7 cm) [Public domain], via Wikimedia Commons

Wer die abertausend Zeichnungen Picassos, mit ein paar Strichen hier und dort, kreativ nennt, hat den letzten Fetzen kritischen Verstandes über Bord geworfen. Das einzig Neue war die Dreistigkeit, kleine Fingerübungen als Kunst zu verkaufen. Und dabei das Glück zu haben, genug naive Anhänger zu finden, die ihm bis heute glauben.

Paul Klee - Schiffe im Dunklen (1927) - Öl auf Leinwand (80 x 63 cm) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Es ist, wie Anselm Feuerbach mal so schön treffend sagte, alles schon mal da gewesen und immer besser. Das Kreative in der Malerei ist die Kombination von kleinen bekannten Versatzstücken.

Wer ist kreativer? Der Hobbygärtner, der einen einzelnen Baum in seinem Garten pflanzt oder der Landschaftsgärtner, der einen komplexen Park aus dem Boden zaubert?

Der Hobbygärtner wird zwei oder drei Entscheidungen treffen und, aufgrund fehlender Ausbildung und Wissens, hoffen, dass sein Baum in ein paar Jahren blühen und Früchte tragen wird. Das war es. Mehr Aufwand und Fertigkeit sind in viele bekannte Werke der Moderne auch nicht eingeflossen.

Oder auf der anderen Seite der Landschaftsarchitekt, der einen ganzen Park plant. Überlegung zu verschiedenen thematischen Abschnitten, Bodenbeschaffenheit, Wetterwechsel, Jahreszeiten, Zusammenspiel der Farben oder harmonische Wirkung spielen eine große Rolle bei der Konzeption und Umsetzung. Ohne entsprechende, langjährige Ausbildung wird jeder Gärtner an solch einer Aufgabe scheitern. Hier ist Kreativität gefragt. Wie ein realistischer Maler entwirft er ein komplexes Bild, bei dem unendlich viele Details zu betrachten, einzuordnen, abzuwägen und zu kombinieren sind. Nur dann entsteht ein harmonisches Bild, welches durch sein Können auch unabhängig vom Namen des Künstlers strahlt.
Jehan-Georges Vibert - Der Ausschuss für moralische Bücher (1866) - Öl auf Leinwand (45 x 64,7 cm) [Public domain], via Wikimedia Commons