Donnerstag, 31. Dezember 2009

Wilhelm Bernatzik und die Kunst des Vergessens

Lauf der Zeit
Das Leben ist vergänglich. Altes macht Platz für Neues. Was heute noch beliebt und bekannt war, ist morgen vergessen. Für Manchen ist das ein schwer zu akzeptierender Lauf der Geschichte, aber das Rädchen lässt sich nicht zurückdrehen. Wir heute lebenden Normalsterblichen sind in ein, zwei, maximal drei Generationen schon wieder vergessen.

Vergessene Künstler
Doch nicht nur uns widerfährt dieses Schicksal, auch zu ihrer Zeit bekannte und relativ bedeutende Menschen sind bald im  dunklen Teil der Geschichte verschwunden.
Die Kunstwelt macht da natürlich keine Ausnahme. Was gerade noch große Mode war, gilt kurze Zeit später als veraltet und vergilbt.

In wohl keiner Epoche folgten die Stufen so krass aufeinander wie Ende des 19, Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Jahrhunderte alte große Tradition der in langjähriger Arbeit ausgebildeten Meister fand ihr jähes Ende mit dem Aufkommen modernerer Richtungen, bei denen das Können immer weniger Bedeutung hatte. Große Meister ihres Pinsels, die zu anderen Zeiten ruhmreich verstorben wären, sahen ihr Lebenswerk durch die Vergötterung des Nichtskönnertum zerstört.

Tod und Wiederauferstehung
Ein filmreifes Paradebeispiel ist hierfür das Leben des Malers John William Godward. In einer Kunstwelt, in der die Spielereien eines Picasso als Geniestreiche gepriesen wurden, sah er keinen Platz mehr für sich und seine Kunst und beendete vorzeitig sein Leben.
Die Kunst der Dilettanten konnte seinen Ruhm jedoch nicht für immer unterdrücken. In den letzten Jahrzehnten erlebte sein Werk eine Renaissance und seine Gemälde erzielen heutzutage wieder stattliche Preise. Sein Leben ist bestens dokumentiert und frei im Web nachzulesen. Siehe zum Beispiel hier.

Auf der Welle und dann für immer unter ihr
Das Wiederauferstehen des Ruhms ist vielen anderen jedoch nicht vergönnt. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel, über den ich im Folgenden berichten möchte, ist der österreichische Maler Wilhelm Bernatzik. Einer jener verlorenen Generation, die ich an anderer Stelle erwähnt habe.

Dieser Maler schwamm auf der Welle des Zeitgeists. Er errang mehrere Medaillen und seine Bilder verkauften sich gut. Doch nicht nur das. Er war eine historisch wichtige Figur an der Schnittstelle zwischen Impressionismus und Sezession. Eigentlich war er zur richtigen Zeit am richtigen Ort, aber nicht mal als kleines Rädchen ist er in die Kunstgeschichte eingegangen.

Wilhelm Bernatzik - Das Begräbnis (1880)

Minimale Infos
Die paar Bilder und Informationen, die im Internet zugänglich sind, habe ich alle in diesem Artikel eingebaut. Wahrlich nicht viel. Das Problem ist, dass sein Leben von anderen Köpfen, speziell Gustav Klimt, überschattet wird, die Bernatziks Nachruhm in den Boden der Vergessenheit versenkten, aus dem er bis heute nicht emporgehoben wurde.

Verkörperung des Wandels
Aus kunstgeschichtlicher Sicht ist dies, so meine Meinung, nicht zu begründen, da er den Wandel vom technisch versierten, klassisch ausgebildeten akademischen Maler zum Impressionisten deutschsprachiger Prägung und Begründer des Jugendstils (keine einheitlich Kunst- eher eine Zeitströmung) in Österreich wie kein Zweiter verkörpert. Ein Zeitgenosse beschrieb dies als Wandlung vom Saulus(~Akademiker) zum Paulus(~Impressionist). Ich würde dies natürlich genau andersherum sehen.

Akademische Grundlagen
Wie dem auch sei. Bernatzik hatte Talent. Und so wundert es nicht, dass er eine angestrebte juristische Ausbildung unterbrach, um seinem wahren Naturell, der Kunst, Gehör zu verschaffen.
In Wien und Düsseldorf wurde die Basis gelegt und in Paris, beim weltberühmten Léon Bonnat, einen der besten Porträtisten seiner Zeit, holte er sich den letzten Schliff.
Eine Ausbildung, von der heutige Maler nur träumen können. Alles war vorbereitet für eine stattliche Karriere und die ersten Lobesworte und Medaillen trudelten ein.

Die beiden nachfolgenden Bilder zeigen, soweit es die kleinen Abbildungen zulassen, gut die akademisch geschulte feine Zeichnung, Malweise und Bildkomposition, welches vieles weitere erhoffen lies.

Wilhelm Bernatzik - Die Vision des Heiligen Bernhard (1887)
Öl auf Leinwand (105 x 201 cm)

Wilhelm Bernatzik - Klosterwerkstätte

Impressionismuswalze
Aber im Hintergrund wälzte der Impressionismus seine Bahnen und ließ auch den Österreicher, der in Paris hautnahen Kontakt mit den Anfängen der Bewegung hatte, nicht unbeeindruckt. Das Malerische, wie es damals bezeichnet wurde (ich würde eher sagen studienhafte), zog ihn an. Nicht aus mangelnder Alternative, sondern aus Überzeugung.

Deutsche Art
Und mit seiner Art von Impressionismus, die er später entwickelte, kam er den deutschsprachigen Kritikern sehr entgegen. Ein Hecheln nach den neusten Trends aus Frankreich war vielen ein Graus.
Das deutsche Reich hatte zwar den Krieg gewonnen, aber an künstlerischem Selbstvertrauen mangelte es umso mehr. Wo war das Tiefsinnige und Nachdenkliche, welche die Deutschen, und wohl auch die Österreicher, damals als ihre Eigenschaften betrachteten?
Diese oberflächliche, nur dem ersten Schein/Impression dienende Malerei, war vielleicht dem Franzosen innewohnend, aber nicht zum deutsch, naiv, männlichen Gemüt passend.
So oder ähnlich waren die Formulierungen zur damaligen Zeit. Wenn schon Impressionismus, dann sollte die Themen ernster, poetischer, eben deutscher sein.

Nachdenken mit großen Titeln
Und in dieser Kerbe schuf Bernatzik seine Bilder. Nicht den tausendsten, einfach nur schön wirkenden Seerosenteich in der Art eines Monet wollte er schaffen. Nein, seine Bilder sollten Tiefgang haben, den Betrachter ansprechen und zum Nachdenken bringen. Dies trifft auf sein 1903/1904 gemaltes und nachfolgend abgebildetes Gemälde Eingang zum Paradies mit Sicherheit zu.

Wilhelm Bernatzik - Eingang zum Paradies (1903-1904)

Impressionistisch grober Farbauftrag gepaart mit einem bedeutungsvollen Titel.
Dies war mehr als ein 'nett, schön anzusehendes' Bild. Der Betrachter sollte über den Sinn des Lebens und das für uns alle kommende Ende nachdenken. Ein Werk, wie es den Kritikern im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn bestimmt gefallen hat.

Eventmanager
Wilhelm Bernatzik war nicht nur als Künstler vom Impressionismus beeinflusst, auch als Organisator der ersten, allumfassenden Impressionismus-Ausstellung im deutschsprachigen Raum, 1903 in den Räumen der Wiener Sezession, schuf er bemerkenswertes. Zusammen mit dem Berliner Kunstkritiker Julius Meier-Graefe stellte er eine Show auf die Beine, welche die Impressionismus-vernarrten Kritiker jener Zeit begeistert aufnahmen.
Das ist eine der wertvollsten Ausstellungen, die bisher in Wien veranstaltet wurden.
Erstaunlich ist die Reichhaltigkeit der Ausstellung, die Vollständigkeit, mit welcher der große evolutive Kunstmoment, der unsere Epoche charakterisierte, dargestellt ist.
Hier waren aufgrund der guten Kontakte Bernatzik nach Frankreich, Holland und Belgien nicht nur die großen Köpfe Monet, Renoir, Sisley oder Pissarro vertreten. Mehr noch. Die gesamte Bandbreite von Manet, Corot, Rodin, van Gogh und Vorläufern wie Goya oder Velázquez war zu sehen.
Ein neuerlicher Höhepunkt war die 16. Secessionsausstellung vom 17. 1. bis 1. 3. 1903, die durch Reisen des Präsidenten Wilhelm Bernatzik nach Amsterdam, Den Haag, Brüssel und Paris vorbereitet worden war und nach schwierigen Verhandlungen vor allem mit privaten Leihgebern realisiert werden konnte.

Wilhelm Bernatzik - Motiv aus Weissenkirchen an der Donau
Öl auf Leinwand (50 x 80 cm)

Trennungen und Strahlemann
Organisiert werden konnte dies von Bernatzik nur, weil er genau in diesem Jahr, von 1902 bis 1903, Vorsitzender der Wiener Sezession war. Jenem Bund, den er als Abtrennung vom offiziellen akademischen Betrieb als einer der wenigen 'Alten' mitbegründet hatte. Diese Vereinigung wird heute meist nur mit einem Namen verbunden, der alle anderen überstrahlt. Gustav Klimt.
Zu Klimt wird man an allen Ecken und Enden mit Büchern, Abbildungen und Informationen erschlagen. Auf ihn haben sich alle Kunstinteressierten gestürzt und bis zur Farbe seiner Bettwäsche ist wohl alles bekannt.
Aber Bernatzik wird, auf jeden Fall in dem Buch, welches ich über Klimt habe, mit keinem Wort erwähnt. Dabei war Bernatzik ein Weggefährte Klimts. Beide beteiligten sich an vielen Ausstellungen der Sezession und bestimmten ihre Marschrichtung. Einer Marschrichtung, die jedoch nicht ganz unumstritten war. Denn schon acht Jahre später trennten sich Künstler um Klimt und Bernatzik von der Wiener Sezession und gründeten 1905 ihre eigenes Grüppchen. Trennung von der Trennungsgruppe also. Warum auch nicht, Jedem das Seine.

Wilhelm Bernatzik - Schäfer am Lagerfeuer - Öl auf Leinwand (95 x 73 cm)

Totenstarre
Lange währt die Trennungsfreude jedoch nicht. Denn schon im drauf folgenden Jahr, im November 1906, verstarb der zu Lebzeiten hoch angesehene Maler. Nach einer großen Gedenkausstellung 1907, die seine Wiener Freunde ihm widmeten, wurde es schnell still um Bernatzik. Seitdem hat ihn kein deutscher/österreichischer Kurator oder Kunsthistoriker mehr aus der Versenkung geholt.

Zurück zum Lebenden

Wilhelm Bernatzik - Selbstbildnis - Kohlezeichnung

Zur Beschreibung seiner Person muss man schon auf zeitgenössische Quellen zurückgreifen:
Er hatte vor allem Begeisterung und die Brüder gehörten zu den vielen jungen Wienern, die seinerzeit zu Fuße nach Bayreuth pilgerten. Seine derbkräftige Anlage gestattete ihm das; er war auch später immer zu physischer Anstrengung aufgelegt und insbesondere ein leidenschaftlicher Radler, als solcher in etwas abenteuerlich grobem Dreß eine bekannte Figur. Auch sein mächtiger Kopf, mit den
tiefgefurchten Zügen, ließ nicht ahnen, daß er ein fein gestimmtes Gehirn barg. (Ludwig Hevesi - Kunstchronik und Kunstmarkt)
Vom selben Autor stammt eine Schilderung der von Impressionismus und Freilichtmalerei beeinflussten Malweise Bernatziks.
Seine eigene Malerei vertiefte und beseelte sich in der Wechselwirkung dieser Gemeinschaft von Jahr zu Jahr. Gleich seine ersten Bilder ließen es erkennen und fanden sämtlich Käufer.
Meist grüne, durchfeuchtete Bilder, mit einem leuchtenden Schwall von Wasser und purpurglühenden Blumen; Märchenschauplätze gleichsam. Dann warf er sich ins Gegenteil und malte in Neunkirchen am Steinfelde die staubtrockenen, staubgrauen Dämmerungen dieser für Wien sprichwörtlichen Einöde, aber auch die lauschige
Abendstille in den ländlichen Gäßchen mit ihren einsamen Laternen, die ein irisfarbener Hof umgibt. Gelegentlich stieg er sogar zu einem Weihnachtstableau mit geflügelten Engeln auf. Und zuletzt sah man von ihm ein ganzes Gemach, auf Gelb gestimmt, mit landschaftlichen Panelen von rosig-violettem Farbenhauch, denen man übrigens den Einfluß der Klimtschen Landschaften ansah.

Wilhelm Bernatzik - Das Paradies - Tryptychon (1904)

Er war ohne Zweifel in steter Vertiefung und Vergeistigung begriffen,
man durfte da noch viel Gutes erwarten.

Ich brauche mehr Details
Für die Statistiker zuletzt ein tabellarischer Lebenslauf, soweit es die im Internet verfügbaren Informationen hergeben:
  • 1853: Geboren am 18. Mai 1853 in Mistelbach (Niederösterreich). Bruder des Staatsrechtlehrers Hofrats Prof. Dr. Edmund Bernatzik.
  • 18xx: Beginn eines Jurastudiums in Wien
  • 1873: Abbruch, um an der Akademie der bildenden Künste Wien unter Eduard Peithner von Lichtenfels die Spezialschule für Landschaftsmalerei zu besuchen
  • 1875: Erhielt er die goldene Füger-Medaille für eines seiner ersten Werke Kain erschlägt seinen Bruder Abel
  • 187x: Großes Bild Sturm an der Küste von Istrien
  • 1875 - 1878: Studium an der Düsseldorfer Akademie, wo er vor allem Wald- und Sumpflandschaften malte
  • 18xx: Gemälde Jahrmarkt in Lundenburg
  • 1878 - 188x: Studium bei Léon Bonnat in Paris. Porträt und Figurenmalerei
  • 1880: Ab diesem Jahr war er Mitglied im Wiener Künstlerhaus bis zur Gründung der Sezession 1897
  • 1880: Ausstellung Künstlervereinigung Wien; Zeichnung mit dem Titel Landschaft
  • 1881: Prozession in Dürnstein an der Donau
  • 1884: Gemälde Der alte Prokop in seinem Obstgarten
  • 1885: Zyklus der vier Jahreszeiten (Frühling - Spiel der Jugend, Sommer - Schweiße harter Arbeit, Herbst - Ermüdet von der Last des Lebens, Winter - Im Tode), wobei mindestens der Herbst später mit geringen Abweichungen kopiert wurde
  • 1887: Gemälde Die Heilsboten
  • 1887: Gemälde Die Vision des heil. Bernhard im Kreuzgang des alten Stifts Heiligenkreuz gemalt, welches für die kaiserliche Galerie erworben wurde. Dort wurde ebenfalls, vielleicht zur gleichen Zeit, sein eine Madonna anmalender Mönch, Klosterwerkstätte, gemalt.
  • 1888: Silberne Staatsmedaille (wo?)
  • 1889: Bronze Medaille Weltausstellung Paris
  • 18xx: Gemälde Abenddämmerung, Franz Josefs-Quai, Träumerei
  • 18xx: Viele Bilder, Skizzen und Zeichnungen der Umgebung Lundenburgs, die er vielfach besuchte und dort vom Fürsten Wohnräume in dessen Schloss zur Verfügung gestellt bekam
  • 1891: Internationale Kunstausstellung Verein Berliner Künstler
    Bilder: Heiligenkreuz bei Baden in Österreich, Auf dem Kreuzwege und Der Versehgang
  • 1893: Teilnahme Weltausstellung in Chicago. Medaille(welche?) für sein Gemälde Vision des heiligen Bernhard
  • 1894: Teilnahme an der Internationalen Ausstellung in Brüssel
  • 1894: Teilnahme an der Internationalen Ausstellung in Antwerpen. Medaille 2ter Klasse
  • 1894: Juror bei der 3 Internationalen Kunstausstellung in Wien
  • 1897: Gründungsmitglied(insgesamt 40 Personen) der Wiener Sezession am 3 April. Austritt aus dem Künstlerhaus.
  • 189x-19xx: Bilder für die Vereinszeitschrift Ver Sacrum.
  • 1898: Teilnahme 1 Sezessionsausstellung und Kommissionsmitglied
  • 1898: Ausstellung 50jähriges Kaiserjubiläum in Troppau
  • 1898: Dämmerungsbilder
  • 1899: Teilnahme Sezessionsausstellung
  • 1899: Gemälde Märchensee wurde direkt an das Hofmuseum verkauft
  • 1899: In den Ausschuss der Generalversammlung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs gewählt
  • 1900: Teilnahme Sezessionsausstellung
  • 1902: Teilnahme Sezessionsausstellung
  • 1902: Gemälde Die Flamme(Felsenschlucht, vier bläulich verschleierte Frauen beschwören gelblich loderndes Feuer)
  • 1902-1903: Präsident der Wiener Szcession
  • 1903: Große Impressionismus-Ausstellung zusammen mit Josef Engelhart und Julius Meier-Graefe organisiert
  • 1903-1904: Gemälde Eingang zum Paradies
  • 190x: Gemälde für das Naturhistorische Hofmuseum in Wien. Goldgewinnung in Nevada und Goldbergbau von Vorospatak, Siebenbürgen.
  • 1904: Im Rahmen der Sezessionsausstellung ein eigener, künstlerisch eingerichteter Raum. Gelbe Wände mit violett-rosigen Gemälden.
  • 1905: 14. Juni Abspaltung von der Wiener Sezession mit Klimt und anderen Künstlern
  • 1906: Nach längerer Krankheit (mehrere schwere 'Anfälle') gestorben am 25. Nov. 1906 in Hinterbrühl in der Villa seines Schwagers Marx an der Thalstrasse nach Gaaden.
  • 1907: Große Gedächtnisausstellung in der Galerie Miethke.

Wunsch

Wilhelm Bernatzik - Weiher (um 1900) (100 x 71 cm)

Ich würde mir wünschen, mehr von diesem akademisch geschulten Maler zu sehen. Vor allem große, farbige Aufnahmen. Erst dann kann man Bernatzik Leistung und Können wirklich beurteilen. Auch wenn ich kein begeisterter Anhänger des Impressionismus bin, bietet die poetische Malerei, wie es seine Zeitgenossen formulierten, bestimmt einen angenehmen Kontrast zu den alles überstrahlenden Köpfen Klimt, Monet oder Renoir.

Donnerstag, 12. November 2009

Was ist Kunst? (Teil 2)

Zur Zeit lese ich wenig über die Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Deshalb nochmal (Teil 1 findest du hier) etwas Grundsätzliches zu meinen Kunstansichten, die den heutzutage vorherrschenden Standardansichten vollständig widersprechen.

Was ist Kunst?

Das einzige Kriterium, ob etwas als Kunst betrachtet wird, ist das von dem Werk ausstrahlende Können.

Können ist aus meiner Sicht ein rein technischer Aspekt.

Wenn ein Werk in ähnlicher Qualität von einem Hobbymaler mit den gleichen Hilfsmitteln kopiert werden kann, dann ist es keine Kunst.

Adolf Hölzel - Anbetung (1912)
Öl auf Leinwand (85 × 67 cm)

Simpel, zu simpel für viele, aber dies ist in meinen Augen der einzig wahre Eichtest. Deshalb ist in der Regel Objektkunst oder abstrakte Kunst keine Kunst. Dekorativ oder gefällig vielleicht, aber keine Kunst. Solche Sachen haben nichts in einem Museum verloren und sind in der Regel schlicht und einfach nur dilettantischer Müll.

Kasimir Malevich - Supremus No. 58 (1916)

Als Beispiel seien zwei aktuelle Preisvergaben vorgestellt. Zum einen der Kasseler Kunstpreis 2009 (man könnte blind fast jeden anderen Kunstpreis in Deutschland wählen, aber Kassel ist aufgrund seiner documenta-Ausstellung, der Königin der Kunstausstellung ohne Kunst, eine verführerische Stadt für diese Zwecke) und zum anderen der ARC Nachwuchswettbewerb 2009. Dreimal darf geraten werden, wer etwas mit Kunst zu tun hat und wer nicht und wie der Stand der Kunst in den jeweiligen Ländern ist...

Was ist, wenn ich nicht weiß, wie das Werk entstanden ist?

Carl Friedrich Lessing - Heimkehrender Kreuzritter (1835)
Öl auf Leinwand (66 x 64 cm)

Nehmen wir mal an, es hängt in einem Museum eine ausdrucksstarke, kunstvolle Zeichnung, die sich offensichtlich von den Versuchen eines Laien unterscheidet. Es ist ein Kunstwerk, welches seinen Platz dort verdient.
  • Nun nehmen wir an, dass die Kopierer späterer Generationen Ergebnisse erzeugen, die Zeichnung und Gemälde nicht mehr von den Originalwerken unterscheiden lassen. Es wird nun bekannt, dass die Zeichnung im Museum eine Druckkopie ist und nicht, wie bisher vermutet, ein von Menschenhand geschaffenes Werk. Dann hat dieses Bild, welches vor kurzem noch als große Kunst angesehen wurde, seinen Wert verloren. Natürlich und trivial.
  • Ein anderer vereinfachter Fall. Das Original ist ein Meisterwerk, die im Museum hängende Zeichnung jedoch eine mit Projektion und simpler Durchzeichnung erstellte Kopie (was bei wirklicher hochwertigen Zeichnungen, da sie mehr als reine Konturen zu bieten haben, natürlich nicht möglich ist), dann mag das Ergebnis genauso schön wie das Vorbild sein, hat aber damit seinen Kunstwert verloren, da es mit dem nötigen Fleiß jeder durchpausen kann.
  • Oder folgendes: Ein Gemälde wird in bester Manier von einem Könner seines Fachs kopiert (so sagt man von Franz von Lenbach, dass seine Kopien für die Schackgalerie fast noch besser waren als die Originale. Da ich noch nie eines dieser Gemälde gesehen habe, kann ich es nicht beurteilen), so ist dies Kunst, auch wenn der Künstler an den Inhalt des Bildes keine Gedanken verschwenden musste. Vorzug gebührt hierbei natürlich dem Erstwerk, aber Kunst ist die Kopie trotzdem und kann einen Platz im Museum verdienen.
  • Skulpturen können heutzutage per computergesteuerter Fertigung in Perfektion hergestellt werden. Wenn ein identisches Werk von Menschenhand geschaffen wurde, ist es Kunst. Das gleiche Werk maschinell hergestellt, hat seinen Kunstwert jedoch völlig verloren.
Aber das Technische kann doch nicht alles sein?

Aus der Sicht, ob es Kunst ist oder nicht, schon!

Hiermit ist jedoch keine Hierarchie gemeint in der Art: je vollendeter das Werk, desto kunstvoller ist es.

Carl Friedrich Lessing oder Anton von Werner sind zwei meiner Lieblingsmaler. Beide sind bekannt für ihre vollendete Umsetzung. Aber auch John William Waterhouse, der häufig Abschnitte seiner Gemälde weniger fein ausmalt (nicht gerade auf dem unten gezeigten Gemälde, aber dieses ist eines meiner Lieblingsgemälde und ich musste es einfach zeigen...), ist einer meiner Favoriten.

John William Waterhouse - The Lady of Shallot (1888)

Franz von Lenbach legt sein ganzes malerisches Gewicht häufig nur auf die Augen des Dargestellten, alles andere ist verschwommen, angedeutet gemalt. Ist er deshalb ein minderwertiger Künstler? Nein, er ist ein Meister des Pinsels und seine Porträts üben eine Faszination aus, die vielen klassisch vollendeten, jedoch steifen Porträts fehlt.

Franz von Lenbach - Clara Schumann (1878-79)
Pastell

Was ist denn mit dem Inhalt des Bildes, der Intention des Künstlers?

Das Inhaltliche spielt als Kriterium, ob etwas als Kunst betrachtet werden kann, keine Rolle. Will nicht verleugnen, dass subjektiv ein Thema mehr anspricht oder besser umgesetzt ist als das andere. Aber hinsichtlich der Unterscheidung von Kunst und Nichtkunst, und darum geht es in diesem Bericht, spielt dies überhaupt keine Rolle.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts galt es als selbstverständlich, dass ein Kunstwerk eine Bedeutung haben musste. Biblische Geschichten, altertümliche Sagen oder Zeitgeschichte waren die höchst angesehensten Themen.

Gegen dieses inhaltliche Primat ankämpfend gab es mehrere Bewegungen, eine verschiedener als die andere.

So kam die L’art pour l’art oder Ästhetizimusbewegung im 19. Jahrhundert auf (ein typischer Vertreter ist Albert Joseph Moore, dessen Bilder, ohne mythologischen oder sinnschweren 'Ballast', schöne Frauen in antiken Gewändern zeigen), deren Gemälde 'nur' schön wirken sollten. Literarische oder geschichtliche Kenntnisse waren für den vollen Genuss des Bildes nicht von Belang.

Albert Joseph Moore - Midsummer (1887)

Ein ähnliches Ziel, neben anderen, hatte auch der Impressionismus, der den ersten Eindruck(über diese Floskel kann man schön streiten), festhalten wollte. Oder der Realismus, der den grauen Alltag auf den Thron des Darstellbaren gehoben hat.

Ihnen allen war gemein, dass sie das inhaltliche Spektrum erweiterten.

Aber wie weit das Spektrum auch ist, es gibt selbstverständlich immer Richtungen, die einem mehr gefallen als andere. Ich schaue mir mit Begeisterung Historiengemälde der akademischen Maler des 19. Jahrhunderts an. Deren Gemälde sind meist voller Details, interessanter Stellen und lebendiger Personen. So beschreiben Gemälde Anton von Werners geschichtliche Ereignisse des 19. Jahrhunderts. Einen schnelleren und besseren Einblick und ein Gefühl für diese Zeit kann man kaum gewinnen. Wenn das Ganze auf technisch hohem Niveau umgesetzt ist, ist dies große Kunst und nicht, wie heutzutage behauptet, einfache Zeitgeschichte ohne Kunstwert.

Anton von Werner - Kaiser Friedrich als Kronprinz auf dem Hofball (1878)
Öl auf Leinwand (118 x 95 cm)

Paul Cézanne - Stillleben mit offener Schublade (1877-1879)
Öl auf Leinwand (33 x 41 cm)

Nebenbei bemerkt: Der fehlende Tiefgang der impressionistischen Gemälde führte noch vor Ausbruch des 1. Weltkriegs zu einem Abflauen des Impressionismus-Hype, der in den Jahren zuvor häufig als einzig selig machende Kunstrichtung angesehen wurde. Man war nun der sinnlos sinnlichen Gemälde überdrüssig und wollte wieder bedeutungsvollere Aussagen und Inhalte erblicken. Mein Problem wäre das nicht gewesen, meine Kritik am klassischen Impressionismus ist rein formaler Natur, dass halbgare Studien als fertige Bilder gepriesen werden. Dies gilt häufig für die Dauerbrenner Pissarro, Sisley, Monet und Konsorten,

Alfred Sisley - Die Seine bei Bougival (1876)
Öl auf Leinwand (45 x 61 cm)

aber weniger für die schweren Kaliber des akademischen Impressionismus (Krøyer, Sorolla, Boldini und Co), die jedoch leider bei weitem nicht so bekannt sind.

Giovanni Boldini - Landstrase bei Combes-la-Ville (1873)
Öl auf Leinwand (69 x 101 cm)

Wer an der Oberfläche kratzt, lernt den Inhalt nicht kennen, oder?

Schon wahr. Aber genau dieser Inhalt unterliegt dem Zeitgeist und dem persönlichen Geschmack und hat als Kriterium für Kunst nichts verloren. Der Inhalt ist das breite Spektrum, welches das Interessante und Hochwertige vom weniger Interessanten und Minderwertigen scheidet. ABER. Was mir gefällt, gefällt dir noch lange nicht.
  • Ein Bild Hieronymus Boschs hatte für seine Zeitgenossen eine eindeutige und unmissverständliche Bedeutung. Uns heutigem Betrachter sind diese Allegorien und Symbole oft nicht mehr bekannt, die Fachleute widersprechen sich. Die Bilder Tizians oder Leonardos haben häufig religiös, christlichen Inhalt. Der ist für viele Menschen heutzutage nicht mehr von Bedeutung oder langweilt sie. Trotzdem sind diese Künstler große Meister ihrer Zeit. Und warum? Vor allem wegen ihrer großen technischen Fähigkeiten, ihrem Können.
  • Ein Porträt, welches für den einen Tiefgang besitzt und den Charakter der Person zeigt, ist für den anderen einfach nur ein Gesicht.
  • Ein Landschaftsbild steckt für den einen voller Poesie, für den anderen sind es einfach ein paar Bäume, die ein bisschen mehr Farbe vertragen könnten.
  • Die schlesischen Weber von Carl Wilhelm Hübner sorgten zu seiner Zeit für gesellschaftskritische Furore, heute würde solch eine Darstellung keine soziale Ader mehr pulsieren lassen.

    Carl Wilhelm Hübner: Die schlesischen Weber (1844)
    Öl auf Leinwand - 119 x 158 cm
  • und so weiter und so fort ...
Grenzziehung

Peder Sverin Kroyer - Hipp, Hipp, Hurra (1884-1888)
Öl auf Leinwand (134,5 x165,5 cm)

Mit dieser Art von Kunstbetrachtung wird keine Hierarchie aufgebaut, sondern eine Grenze gezogen. Eine technische Grenze. Und vor dieser Grenze bleiben große Teile des geschätzten Kunstschrotts unserer Zeit stehen, weil ihnen der Einlass aufgrund ihrer dilettantischen Qualität verwehrt wird.

Umberto Boccioni - Die Stadt erhebt sich (1910)
(200 x 301 cm)

Oder, wie ein weiser Türsteher einst sagte:
Du kommst hier ned rein

Samstag, 17. Oktober 2009

Ideenklau und intime Küsse


Keine Angst vor bärtigen Römern


Im deutschsprachigen Internetraum gibt es fast keine Seite, die sich mit den wahren Meistern der Kunst des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Dieses Problem haben englischsprachige Leser nicht. Ein empfehlenswerter Blogs ist sicherlich beardedroman.com. Dort werden häufig wenig bekannte akademische Künstler und ihre Geschichten vorgestellt. Immer in einer Art geschrieben, die den verdienten Respekt vor der Arbeit und Leistung dieser Meister entlockt. Hier ist keine trockene Ansammlung von Fakten zu finden, sondern eine leicht zu lesende, kenntnisreiche Beschreibung der damaligen Zeit.

Etwas für Erbsenzähler

Nur bei einem Bericht, der sich mit Adolph Menzel beschäftigt, habe ich Erbsenzähler was zu korrigieren, da es über die Hauptakteure interessanten Klatsch zu verbreiten gibt.

Ernest Meissonier - Selbstportät

Menzels Werdegang wird treffend beschrieben, nur sein Bezug zu Frankreich wird verzerrt dargestellt. So wird seine Freundschaft mit Ernest Meissonier und die regelmäßigen Besuche der französischen Hauptstadt hervorgehoben. Das wirkt fast so, als ob ein lebenslanger Kontakt zwischen den beiden bestanden hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. In Frankreich war Menzel nur dreimal im Rahmen der großen Ausstellungen 1855, 1867 und 1868 in Paris. Und der Freundschaftsbegriff wird in Bezug auf Meissonier auch etwas arg strapaziert. Vielleicht übersetzt ich es auch falsch, und der Autor meinte eher ein freundschaftliches Verhältnis. Wie dem auch sei, lassen wir mal die Fakten sprechen.

Kleine Riesen

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert war besagter Meissonier nicht irgendwer, sondern der bestbezahlte Künstler weltweit. Bewundert von seinen Kollegen fiel sein Name immer dann, wenn Vergleiche im ganz großen Maßstab anstanden.

Sein kleineres Pendant im deutschsprachigen Raum war Adolph Menzel. Und klein ist hier bestimmt das richtige Wort. Denn beide, sowohl Menzel als auch Meissonier, konnten kaum über eine höhere Tischkante blicken. Menzel war nur 1,40 groß und der Franzose maß auch nicht sehr viel mehr und wurde auch mal spöttisch als 'ein rechter Gnom' bezeichnet.


Adolph Menzel - Foto

Beide wurden von Außenstehenden, die sie nicht näher kannten, als grimmig, abweisend und nur mit Vorsicht zu genießende Zeitgenossen beschrieben. Nach persönlichem Kennenlernen sah das dann oft nicht mehr ganz so schlimm aus.

Es gab jedoch auch Unterschiede.

Menzel galt als Meister der Zeichnung, Lithographie, Gouache und was weiß ich nicht alles, jedoch war seine Ölmalerei und Farbgebung teilweise umstritten. Meissonier war ohne Frage der König der kleinformatigen, minutiös detaillierten Ölmalerei.


Ernest Meissonier - Das Portät des Sergeanten (1874)
Öl auf Leinwand (73 x 62 cm)

Meissonier war verheiratet, hatte zwei Töchter (soweit ich mich erinnere, vor kurzem gelesen zu haben) und verbrachte viel Zeit mit Sport. Schwimmen, Fechten und Reiten waren seine Metiers. Alles Dinge, für die der ganz für seine Kunst lebende, unverheiratete Menzel, kein Auge und keine Zeit hatte.
Adolph Menzel - Atelierwand (Studie)

Die beiden kleinen Männer waren jedoch in der Kunstwelt Riesen. Und im Reich der Zwerge können sich Riesen nicht auf Dauer übersehen. So wundert es also nicht, dass sich ihre Wege kreuzten.

Perfektionist

Meissonier war Perfektionist. So wie Menzel. Meissonier war bekannt dafür, dass seine Bilder nicht nur einfach ein Ereignis einer vergangenen Zeit beschreiben, sondern bis ins kleinste Kostümdetail den historischen Gegebenheiten gerecht werden. Für die Schnellschüsse unserer Zeit ist das natürlich überflüssiger pedantischer Schnickschnack, aber für den an Geschichte interessierten Betrachter ist dies ein zusätzlicher Bonus, der den Blick auf die kleinste Nebensächlichkeit locken kann, und das Bild noch bewundernswerter macht.

Ernest Meissonier - Die Kartenspieler (1872)
Öl auf Leinwand (40 x 30,5 cm)

Aus dem Nähkästchen

1862 trafen beiden Maler erstmals aufeinander. Diese und die folgende Begegnung 1867 werden wunderbar von Paul Meyerheim beschrieben, der uns einen Blick hinter die Kulissen der beiden Maler gewährt. Meyerheim war selber ein Meister des Pinsels. Jedoch, aufgrund der Verehrung der größten expressionistischen Dilettanten, welche kaum eine gerade Linie zeichnen können, sind seine liebevollen, unterhaltenden Kunstwerke fast in Vergessenheit geraten. Schade.


Paul Meyerheim - In der Tierbude (1894)

Jedenfalls beschreibt er manch lustige Eigenheit der beiden Künstler. Das Menzel ein Original der speziellen Sorte war, ist mir bekannt. Aber das Meissonier ebenfalls ein schräger Vogel war, wusste ich nicht.

Schlacht mit falschem Ausgang

Meissonier plante 1862 ein Bild über 'Napoleons' Schlacht bei Leipzig. Er reiste deshalb nach Berlin, um sich dort mit alten Uniformen einzudecken. Nachfolgend wollte er dann nach Leipzig reisen, um einer Truppenübung an den Originalschauplätzen beizuwohnen. Nichts Ungewöhnliches für die damalige Zeit, wie man ähnlich zum Beispiel im Bericht zu Anton von Werner nachlesen kann. Das besondere ist jedoch, dass laut Meyerheim der Franzose etwas naiv war, und erst in Berlin erfuhr,
daß die Franzosen die Schlacht bei Leipzig so recht eigentlich nicht gewonnen hätten.
Erste kraftvolle Berührung

Man kann halt nicht alles wissen und solche Nebensächlichkeit erst gar nicht.

Eines wusste Meissonier aber. Nämlich,
daß er, wenn er nicht Meissonier wäre, gerne Menzel sein würde.
Wenn das kein Lob ist, dann weiß ich es nicht. Aber wie sah Menzel das Ganze?
Um es vorwegzunehmen, nicht ganz so euphorisch. Aber er war trotz allem zeitlebens voller Hochachtung vor dem künstlerischen Schaffen des berühmten Franzosen.

So war die erste Begegnung der beiden Künstlerpersönlichkeiten im Rahmen von Meissoniers Besuch 1862 in Berlin recht skurril. Menzel hasste die französische Sprache und beherrschte sie kaum, und so bestand ihre Unterhaltung,
wenn gerade niemand zum Dolmetschen bereit war, gewöhnlich darin, daß einer dem anderen auf den Rücken klopfte.
Dreister Ideenklau

Menzel hatte zu dieser Zeit sein nie vollendetes Bild Friedrich der Große mit seinen Generälen vor der Schlacht bei Leuthen auf der Staffelei. Ein Bild, welches Meissonier voller Bewunderung betrachtet haben soll.

Adolph Menzel - Friedrich der Große mit seinen Generälen vor der Schlacht bei Leuthen (Unvollendet)
Öl auf Leinwand

Und, wie Meyerheim andeutet, nicht nur betrachtet, sondern auch zu eigen gemacht. Denn direkt von Berlin zu Hause angekommen, begann Meissonier mit seinem weltberühmt gewordenen Gemälde, Napoleon auf dem Rückzug 1814, welches vielleicht nicht nur zufällig Parallelen zu Menzels Werk zeigt.

Ernest Meissonier - Napoleon auf dem Rückzug 1814 (1864)

auf der zerstampften und zerfahrenen Schneedecke sieht man in der Ferne fast nur Silhouette gegen den grauen Himmel die Armee vorüberziehen. Vorn stehen, in dicke Mänteln eingehüllt, mit verfrorenen Gesichtern...
Es gab viele Spekulationen, warum Menzel sein Leuthen Bild nie vollendete. Die Erklärung Meyerheims war einfach:
Der wahre Grund aber, weshalb es nicht vollendet wurde, ist wohl der, daß vorzeitig Meissonier alle Pointen dieses Bildes 'nachempfunden' hatte, um sein allerdings schönstes Bild zu malen.
Intime Küsse

Ihre nächste Begegnung im Rahmen der Weltausstellung 1867 war wieder eine nicht ganz gewöhnliche. Rückenklopfen wie bei ihrer ersten Begegnung war Vergangenheit, diesmal stürzte Meissonier, als er den kleinen Adolph sah, auf ihn zu, umarmte ihn heftig und küsste ihn, Achtung, auf die Ohrläppchen. Richtig gelesen, Ohrläppchen. Merkwürdig für uns naive Mitteleuropäer des 21. Jahrhunderts, aber vielleicht normal für die damalige Zeit. Wer weiß...

Adolph Menzel - Der Palastgarten von Prinz Albert (1846)
Öl auf Leinwand

Der Grund für die intime Begrüßung war jedenfalls ein schöner. Denn Meissonier beglückwünschte Menzel für die gerade bekanntgegebene Auszeichnung im Rahmen der großen Preisverkündgung. Jedoch hatte Menzel nichts von alldem im lauten, hektischen Trubel der Veranstaltung mitbekommen.


Adolph Menzel - Friedrich und die Seinen bei Hochkirch (1856)

Ein Orden für sein Hochkirch-Bild, nein, davon wusste er nichts. Mühsame Überzeugungsarbeit Meissoniers war notwendig, um Menzel von seinem Glück zu überzeugen:
denk dir (sagte Menzel), ich bin noch im tiefen Schlaf, da klopft es heftig an meine Tür; ich wache auf, besinne mich, daß ich in Paris bin, nehme mein ganzes Französisch zusammen und frage: qui est la(wer ist da)?
Da antwortet es draußen: Monsieur Meissonier, und ich, im Halbschlaf, erwidere, ce n'est pas ici(er ist nicht hier).
Als mir die Sache klar wurde, stand wirklich Meissonier vor mir, um mir mitzuteilen, daß alles richtig sei, daß er beim Minister gewesen, daß ich wirklich den großen Orden erhalten und daß wir abends bei ihm essen sollten.
Heimliche Differenzen

Ganz so harmonisch, wie man vermutet, war dieser Abend dann doch nicht verlaufen.
So berichtet Meyerheim von einer Begebenheit, in der Menzel das noch unvollendete Napoleonbild begutachtete und nach längerem Betrachten, währenddessen Meissonier ungeduldig die Vorzüge seines eigenen Bildes anpries, Menzel auf Napoleons Arm mit dem Hut verwies und sagte :
"Das bleibt wohl noch nicht so?" Qu'est-ce qu'il a dit(was hat er gesagt) raunte mir Meissonier zu; ich versuchte, die Worte in milder Form zu übersetzen.
Das Ende der schwierigen Unterhaltung war, daß Menzel auf einem Blättchen Papier hinzeichnete, wie der Arm mit dem Hut sein müsse, und auch noch mit ein paar
Strichen den Kaiser hinzufügte. Von dieser Zeichnung war Meissonier ganz begeistert.
In seinem anderen Atelier hatte Meissonier ein kleineres Bild auf der Palette und nach einigem sinnieren schlug Menzel eine Änderung vor, die der Franzose direkt, in Anwesenheit seiner Schwester und des ebenfalls eingeladenen Malers Ricard, umsetze. Und genau diese Szene hatte Menzel einige Jahre später in einem kleinen Ölbild festgehalten, welches nachfolgend abgebildet ist.


Adolph Menzel - Meissonier in seinem Studio in Poissy (1869)
Öl auf Leinwand (21 x 29 cm)

Das war es aber dann auch mit den Liebeswürdigkeiten. Andeutend, aber nicht auf Details eingehend, schreibt Meyerheim:
Der weitere Verlauf des Tages war weniger amüsant. Viele gute Haare wurden an den berühmten Zeitgenossen nicht gelassen.
Letzte Begegnung

Ein letztes Mal trafen sie sich im Rahmen von Menzels Besuch der großen Pariser Ausstellung 1868. Bei dieser Gelegenheit erhielt er als Geschenk von Meissonier eine Photographie von dem Gemälde "Mann am Fenster" (das nachstehende Bild ist wohl gemeint), welches einen ehrenvollen Platz an Menzels Atelierwand fand.

Ernest Meissonier - Mann am Fenster

Kriegsfolgen

Seit Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 vermied Meissonier jeden Kontakt mit deutschen Künstlern, und so kam keine weitere Begegnung dieser beiden großen Maler zustande. Der Stachel, den die deutschen Eroberer in Frankreich hinterlassen hatten, saß bei Meissonier zu tief:
Kein Deutscher hat seit dem Krieg seinen Fuß in mein Haus gesetzt und wird es künftig tun.
Ernest Meissonier - Die Belagerung von Paris (Studie)

Ordensreiter und Spachtelfink

Der Respekt war weiterhin vorhanden, aber ein kleiner Seitenhieb klingt im nachfolgenden kräftig mit.


Ernest Meissonier - Die Arthusage

Es war Menzel  eine besondere Freude, dass er einen höheren französischen Orden als Meissonier besaß. Und von Meissonier stammt die kritische Prophezeiung über den Wert Menzels grobspachteliger, impressionistischer Ölgemälde:
Meine Herren, warten Sie es nur ruhig ab, ich glaube, von uns allen hier wird Menzel einmal der einzige sein, der mit seiner abscheulichen Ölmalerei Recht behält.
Man dankt!

Adolph Menzel - Bildnis einer Dame (evtl. Friederike Arnold)

Wirkliche Freunde waren die beiden Maler nie, aber die Kunstgeschichte wäre ohne ihre Begegnung um einige Anekdoten ärmer.

Donnerstag, 3. September 2009

Lernen von den Alten (Lenbachs Credo)


Bewunderter Malerfürst



Franz von Lenbach - Selbstporträt (um 1900)
Öl auf Leinwand

Franz von Lenbach - Tochter Gabriele (um 1901)
Öl auf Pappe (77 x 62,5 cm)

Franz von Lenbach war der gefragteste deutsche Porträtmaler seiner Zeit. Alle, die Rang und Namen hatten, ließen sich von ihm porträtieren. Sein Lieblingsopfer war Otto von Bismarck, den er über 80 Mal auf die Leinwand zauberte.

August Macke - Franz Mark (1910)
Öl auf Pappe (50 × 39 cm)

Franz von Lenbach - Fürst von Bismarck

Die Stärke Lenbachs lag, wie viele Zeitgenossen behaupten, in der Erfassung des Wesens seines Gegenüber. Und dies suchte er im Gesicht. Nur die Augen waren bis ins Detail ausgemalt, alles andere ließ er verschwommen angedeutet oder stellte es gar nicht dar.

Ratschläge des Meisters


Er galt als der vielleicht größte Kenner altmeisterlicher Techniken und sein Urteil über die neu aufkommenden Kunstströmungen seiner Zeit war vernichtend.

Marianne von Werefkin - Selbstbildnis (um 1910)

Franz von Lenbach - Mädchenporträt
Pastell auf Pappe (69,2 x 45,7 cm)

Dies ist auch der Grund für das folgende lange Zitat, in dem sein künstlerisches Credo in Auszügen wiedergeben ist. Dieses Zitat ist unter anderem in der Zeitschrift Die Kunst: Monatsheft für freie und angewandte Kunst - Band 8 im Jahre 1903 veröffentlicht (siehe hier), dessen Herausgeber Friedrich Pecht ihn für den besten deutschen Maler des 19. Jahrhundert hielt.


Ernst Ludwig Kirchner - Portrait Alfred Döblin (1912)
Öl auf Leinwand (50,8 x 41,3 cm)


Franz von Lenbach - Theodor Mommsen (1898)

Hier also die Meinung Lenbachs zu dem um die Jahrhundertwende immer mehr an Bedeutung gewinnenden dilettantischen Realismus und Expressionismus, der noch in unserer Zeit, im Gegensatz zu den Meistern des 19. Jahrhunderts, hoch geschätzt wird.


Otto Mueller - Selbstporträt
Tempera auf Leinwand (66 x 47.9 cm)

Franz von Lenbach - Bildnis Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1896)

Ich glaube nicht, daß irgend eine Epoche der ruhigen zielbewußten Entwicklung begabter Maler so ungünstig gewesen ist, als die unsrige.
Die fortlaufende Tradition ist jählings unterbrochen. -- Der erste beste Anfänger hält es für das einzig Richtige, direkt an die Natur zu gehen, und sich von den „längst überwundenen Standpunkten" seiner Vorgänger tunlichst frei zu machen.

Wer keck genug ist, ohne Wahl und Geschmack sein Selbstgeschautes, wenn auch in abschreckender Weise, auf Leinwand zu bringen, der bildet sich ein, er habe die Kunst erfunden.
Auf keinem anderen Gebiete als leider dem künstlerischen wäre es denkbar,
daß der junge Nachwuchs die Erfahrungen der Generationen von früheren einfach mißachtete und dekretierte: „Mit mir fängt die Entwicklung von vorne an." --
Wenigstens würde es recht merkwürdige Folgen haben, wenn in Sachen der Wissenschaft oder Industrie jemand sich aus Selbständigkeitswahn nicht mehr der schon gewonnenen Vorteile bedienen und die Grundlagen des Handwerks so außer Augen setzen wollte, wie es in Bezug auf unsere Kunstmittel geschieht.
Sich gründliche Kenntnis der Maltechnik zu verschaffen, gilt als veraltet und ganz überlebt -- und doch waren gerade die geistigsten, im höchsten Sinne künstlerisch begabten alten Meister am eifrigsten auf Vervollkommnung der Technik bedacht; aber sie wurden eben gewissermaßen schon in dem Wasser geboren, darin sie künftig schwimmen sollten, während sich heutzutage jeder das Wasser, das sein Lebenselement werden soll, erst mühsam selbst herbeischleppen muß. Beim Hinblick auf unsere heutige „originelle" Kunstjugend muß ich bisweilen an Goethes Verse denken:

Ein Quidam sagt, ich bin von keiner Schule,
Kein Meister lebt, mit dem ich buhle;
Auch bin ich weit davon entfernt,
Daß ich von Toten was gelernt. --
Das heißt, wenn ich ihn recht verstand:
Ich bin ein Narr auf eigne Hand! --

Jedenfalls ist die jetzige Methode, nach welcher es nur noch Meister und keine Lehrlinge mehr gibt, sehr kraft- und zeitraubend, da der einzelne nicht mehr durch die Erfahrungen seiner Vorfahren, sondern, wenn überhaupt, erst durch eigenen Schaden klug wird.

....

Was jene geleistet -- meint man -- möchte für ihre Zeit ganz löblich gewesen sein -- , sie aber, die Kinder der neuesten Zeit, dürften nicht rückwärts schauen, nichts von den Alten lernen, nicht einmal die Mittel von ihnen annehmen, mit welchen jene Großen ihre unvergänglichen Wirkungen erzielt haben. Denn sie bilden sich ein: wenn sie sich an der Hand der bewunderten Meister leiten ließen, den Weg zu Wahrheit und Natur nicht zu finden, der doch nicht zu verfehlen sei, wenn man nur den Mut habe, mit Scheuklappen gegen fremde Eindrücke vor den Augen, der eigenen werten Nase nachzugehen. Nur Neues, nie Dagewesenes muß probiert, Sensation muß gemacht werden.

100 Jahre nichts geändert


Es hat sich jedoch seit über hundert Jahren nichts an der Situation geändert. Wer die Informationsbroschüre beispielsweise der Düsseldorfer Kunstakademie liest, kann hier nur mit Unverständnis den Kopf schütteln. Arme Studierende fällt mir dazu nur ein.

Denn Kunst kommt von Können, auch wenn alle Kunstakademien in Deutschland dies aufgrund mangelnder Alternativen gerne anders verkaufen.

Wer's glaubt wird vielleicht selig, aber den Malerfürst Franz von Lenbach würden sie auch heute nicht davon überzeugen!

Franz von Lenbach - Clara Schumann (1878-79)
Pastell

Freitag, 21. August 2009

Skandal Munch

Im Folgenden möchte ich auf den Fall Munch des Jahres 1892 eingehen, der einer der Auslöser für die Gründung der Berliner Sezession war. Dieser Fall wurde vielfach beschrieben, meiner Meinung nach aber viel zu einseitig.

Unterlegt habe ich das Ganze mit Bildern beider Seiten, um nicht nur im Trockenen zu schwimmen. Leider kann ich aufgrund der 70 Jahre Sperrgrenze keine Bilder Munchs zeigen, aber die zeitlich zulässigen Expressionisten stehen ihm in nichts nach und werden ernsthaft in Museen als besonderes beachtenswert gezeigt. Als ein Fortschritt der Malerei unter dem Primat der Ästhetik, wie eine der hohlen Floskeln heißt.

Unbekannter Maler

Aufgrund einer Empfehlung des Malers Adelsteen Normann lud der Verein Berliner Künstler dessen norwegischen Landsmann Edvard Munch nach Berlin ein, vielleicht um einen weiteren skandinavischen Maler die Chance zum Aufstieg in Deutschland zu geben.

Adelsteen Normann - Fischerhafen in Nordnorwegen (1880)

So, wie es Normann selber, Hans Dahl, Adolph Tidemand und anderen vergönnt war.

Adolph Mandel Tidemand - Die Andacht der Haugianer (1848)
Öl auf Leinwand (143 x 181 cm)

Munchs Bilder waren fast allen Mitgliedern des Vereins unbekannt und so vertrauten sie voll und ganz auf den Rat ihres Kollegen. Man wollte den Berliner etwas Besonderes bieten, etwas Neues. Was jedoch genau auf sie zu kam, wusste außer Normann keiner so genau.

Hans Dahl - In Erwartung seiner Rückkehr

Hoffnung

Die Ausstellung wurde mit der Umschreibung Ibsenscher Stimmungsbilder mit Tiefgang, eines genialen norwegischen Malers, umworben. Dies suggerierte eine intime, realistische Bilderwelt in der Art des in den 90er Jahren aufkommenden Naturalismus oder Symbolismus, gepaart mit skandinavischen Einflüssen. Leon Lhermitte, Jules Bastien-Lepage, Fernand Khnopf oder Anders Zorn fallen einem ein. Diese malten manchmal mit dem breiten Pinsel der Impressionisten, aber immer in der meisterhaften akademischen Tradition mit feinen Details und gekonntem Bildaufbau.

Anders Zorn - Lappings of the waves (1887)
Aquarell (254 x 167,64 cm)

Realität

Die Spannung war groß. Als jedoch die Show mit 55 Bildern eröffnete, fuhr mit einem Schlag ein Zug der Entrüstung durch den Berliner Blätterwald und den Verein Berliner Freunde. Und so kam es nicht überraschend, dass nach der ersten der geplanten zwei Wochen die Ausstellung wieder geschlossen wurde.

Paul Adolf Seehaus - Leuchtturm mit rotierenden Strahlen (1913)
Öl auf Leinwand (49 x 45,5 cm)

Warum?

Warum war die Ablehnung groß? War dies wirklich unberechtigt? Welche Rolle spielte Anton von Werner hierbei? Und war die Kunstfreiheit in Gefahr? Dies sind Fragen, die einem in den Sinn kommen.

Urteil 1. Instanz

Die offizielle Geschichtsschreibung findet hier schnell eine Antwort. Das große, revolutionäre Neue des norwegischen Malers wurde verkannt und Anton von Werner war der Buhmann, der alles einfädelte. Dies ist im Wikipedia-Artikel zu Munch, auf der Geschichtsseite des Vereins Berliner Künstler und an vielen anderen Stellen in diesem Sinne zu lesen zu.


Ernst Ludwig Kirchner - Taverne (1909)
Öl auf Leinwand (71,8 x 81,3 cm)

Revidiertes Urteil

Schön wäre die Welt, wenn sie immer so einfach wäre. Aber die Medaille hat auch eine Kehrseite, und diese möchte ich hier etwas genauer erläutern.

Inhalt

Das Besondere an den neueren Gemälden Munchs (so waren auf jeden Fall von seinen neueren Werken Der Kuss, Melancholie, Verzweiflung, Vision vertreten) war seine Fixierung auf die melancholisch, einsame, verlorene Seite der Menschen. Seine Bilder boten keine Hoffnung, was ungewöhnlich für diese Zeit war.

Fernand Khnopff - Die Klausnerin (I lock my door upon myself) (1891)
Öl auf Leinwand (72 x 140 cm)

Diese inhaltliche Komponente spielte aber bei der Ablehnung Munchs, soweit ich das den Zitaten entnehme, keine wirkliche Rolle.

Form

Der Grund der Ablehnung lag vielmehr in der Art der technischen Umsetzung. Und diese war für die damalige Zeit einfach lachhaft. Hier sollten Gemälde, die höchstens als einfache, ungeschickt gemalte Studien gelten konnten, als meisterhafte Werke dem Publikum angepriesen werden.

Marianne von Werefkin - Herbst (Schule) (1907)
Der Möbelwagen ist bepackt, die fünfundfünfzig Studien des Norwegers sind aufgeladen (Zitat Frankfurter Zeitung)
Dies war eine Beleidigung der großen Künstler der Vergangenheit und Gegenwart, die sich durch ihr großes Können von den normalen Zeitgenossen unterschieden. Ein Raffael, Caravaggio, Rubens, Rembrandt oder Tiepolo gelten als Große der Kunst nicht wegen ihres thematischen Inhalts (meist religiöse Bilder, Sagen oder Allegorien, deren genaue Bedeutung den heutigen Betrachter nicht mehr wirklich berührt oder direkt bekannt ist), sondern wegen ihrer technischen Brillanz und ihrem Können, welches sie von ihren Zeitgenossen unterschied.
Dies sollte nun mit einem Male nicht mehr von Interesse sein?


Jules Bastien-Lepage - Joan Of Arc (1882)
Öl auf Leinwand(254 x 279 cm)

Nein, diese Vorstellung war absurd. Vielleicht nicht für die Ohren eines modernen Kunstjünger, der mit der Vorstellung aufwächst, dass alles Kunst und jeder Künstler ist und für den der Expressionismus (meine Meinung dazu hier) das höchste der Gefühle darstellt.
Dieser Unsinn war jedoch zur damaligen Zeit wenig verbreitet und macht die Reaktion umso verständlicher.

Klare Verhältnisse in der Küche

Vielleicht hilft es, den Sachverhalt nochmal auf neutralerem Boden zu verdeutlichen.

Niemand würde sich über Folgendes wundern:

Ein angesehenes Restaurant lädt für jeweils zwei Wochen Gastköche ein, um seinen Kunden einen Blick in die Kochtöpfe anderer Länder zu ermöglichen. Einer dieser Köche war ein ungeschriebenes Blatt, aber aufgrund einer Empfehlung eines Bekannten eingeladen worden. Sein Kommen wurde mit hochlobenden Worten in der Zeitung beworben.

Man freute sich auf das neue Geschmacksfeuerwerk und der Andrang war groß. Jeder wollte mal kosten.

Jedoch als die ersten Gäste ihre gefüllten Teller sahen, war das Erstaunen groß.
Dieser Mensch kochte ganz anders als man dies kannte. Alles war roh, nichts gekocht, gegrillt oder gewürzt. Mit einer revolutionären Ausnahme. Sand wurde als besonderes Geschmackserlebnis allem beigegeben. Dies war bodenständig, billig, neuartig und für jeden machbar.

Geschmeckt hat es Niemanden und deswegen gab es einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten. Dieser Koch war eine Beleidigung für jede Küche und er konnte nicht weiter geduldet werden. Wenn kochen so schnell und einfach wäre, warum gab es dann diese lang ausgebildeten und hart arbeitende Sterneköche. Dann wäre jeder ein Meisterkoch.

Paul Gauguin - Armer Fischer (1896)

Léon Lhermitte - Löhnung der Erntearbeiter (1882)
Öl auf Leinwand (215 x 272 cm)

So kam es, dass im Restaurant darüber abgestimmt wurde, ob man dem Koch seine vollen, vorher versprochenen zwei Wochen geben sollte oder ob er im hohen Bogen aus der Küche fliegt. Die Mehrheit war dafür, aus dem Fehler der Einladung zu lernen und diesen dilettantischen Pseudokoch zu feuern, ehe der Ruf des Restaurants und der Kochwelt noch mehr Schaden nahm. Und so geschah es.

Zum Glück aus meiner Sicht. Denn wenn es um unsere Küchen so schlecht bestellt wäre wie um unserer Museen mit ihren dilettantischen expressionistischen und abstrakten Nichtskönnerwerken, die nur aufgrund ihrer Signatur Bedeutung haben, dann hätten unsere Mägen nichts mehr zu lachen.

Anton von Werners Rolle

Von Werner sah die Bilder, wie sollte es anders sein, als Hohn für die Kunst und wahre Künstler an.

Otto Mueller - Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Akt

Anton von Werner - Die Enthüllung des Richard Wagner Denkmals am 1 Oktober 1903 (1908)
Ausschnitt mit Adolph Menzel
Öl auf Leinwand (230 x 280 cm)

Aber er war nicht alleine auf schmaler Front. Die Schließung war kein Einzelakt, sondern wurde nach einer hitzigen Debatte durch eine breite Abstimmung im Verein beschlossen. 120 gegen 105 Stimmen für die Variante der direkten Schließung, die durch Professor Eschke beantragt wurde.
Also nicht Anton von Werner allein, sondern 120 Mitglieder des Vereins Berliner Künstler stimmten für das direkte Ende. Anton von Werner als Vorsitzender und vehementer Verfechter wirklicher Kunst war hierbei natürlich in exponierter Lage und wird deshalb wohl immer wieder als alleiniger Übeltäter betrachtet.
Oder, wie ich es formulieren würde, als unbeugsamer Kämpfer für die jahrhundertealte große Tradition der Malerei.

Zitate

Die Stimmen für die Fortführung der Ausstellung waren übrigens nicht mit der Begeisterung für die Kunst selber verbunden, sondern mit dem Glauben, sein Wort halten zu müssen.
In einem von 48 Berliner Künstlern verfassten Rundschreiben ist unter anderem folgendes zu lesen:
... und deshalb verurteilen wir, ohne zu der in den Munchen'schen Bildern ausgesprochenen Kunstrichtung irgendwie Stellung nehmen zu wollen, die Schließung der Ausstellung als eine dem üblichen Anstand zuwiderlaufende Maßnahme.
Die Bilder selber waren hart Tobak auch für wohlgesonnene Zeitgenossen:
unserem Auge so ungewöhnlich, daß man sich auf den ersten Blick kaum in diesem bunten Farbenspiel von violetten und grünen Farbflecke zurechtfindet
Da hatte es ein Kritiker wie Adolf Rosenberg schon einfacher. Er erklärte:
Über die Munch'schen Bilder ... ist kein Wort weiter zu verlieren, weil sie mit Kunst nichts zu tun haben
Kunstfreiheit in Gefahr?

Und da sind wir direkt bei der letzten Frage, ob mit solch einer Entscheidung nicht die Kunstfreiheit auf's schwerste verletzt wurde?

Meiner Meinung nach Nein, da die Werke Munchs aufgrund fehlenden Könnens wenig mit Kunst zu tun haben.

Hier ist nichts verletzt worden, sondern der Notanker geworfen. Wenn bei einer Mathematiker-Konferenz ein Hochstapler auftritt, der nicht mal bis 10 Zählen kann, gäbe es Null Aufregung, wenn man diesem den Ton abdreht.


Egon Schiele - Neugeborenes (1910)

Aber in der Kunstwelt ist ja heutzutage Toleranz gefragt. Denn ohne diese wäre der Müll, der in unseren modernen Museen hängt, nicht zu erklären.

Der dilettantische Realist unserer Zeit, der die simpelst nachzumalenden Munchs kopiert (Bildersuche im Web liefert dafür genügend Beispiele), fragt sich natürlich, was hat eigentlich dieser Munch und die anderen jüngeren Künstler in den Museen, was ich nicht habe, außer dass sie zuerst kamen? Meine Antwort ist Glück. Ansonsten nichts.

Hermann Stenner - Grüne Frau mit gelbem Hut I (1913)
Öl auf Pappe (42,5 x 38 cm)


Ein Meisterwerk Viberts, Rembrandts oder von von Werner, um ein paar Beispiele zu nennen, wird niemals ein Laie kopieren können, weil ihnen dazu jede Fähigkeit fehlt. Deshalb sind diese drei vorher genannten große Künstler, ein Munch jedoch nicht.

Jehan Georges Vibert - The Fortune Teller
Öl auf Leinwand (68,6 x 101,6 cm)

Um die Schattenseiten des Menschen und der Menschheit zu malen, muss man seine Kunstfertigkeit nicht, wie Munch oder Picasso, ablegen. Aber dazu ein andermal mehr...