Sonntag, 7. November 2010

Dortmund: Museum für Kunst und Kulturgeschichte

In der Dortmunder Innenstadt ist eine der größten Einkaufstrassen in ganz NRW zu finden. Geschäft reiht sich an Geschäft und die shoppingbegeisterte Ehefrau ist kurz vorm Einkaufswahn. Doch wohin flüchten? Wer bietet dem Verirrten eine ruhige Zuflucht, um dem wilden Gedränge und Geschiebe zu entkommen. Kirchen sind hierfür wahrlich nicht schlecht, aber für längere Aufenthalte meist zu kalt. Für uns Kunstinteressierte gibt es zum Glück noch eine andere wunderbare Möglichkeit.

Das Museum. Glücklicherweise ist ein paar Schritte von der Einkaufshektik entfernt das Museum für Kunst und Kulturgeschichte zu finden. Man tritt ein und siehe da, Ruhe. Endlich. Ein paar der dort angestellten Damen unterhalten sich leise. Das war's. Ansonsten fast keine Besucher. Eben das typische Bild eines Museum, welches nicht zu den bekannten Anlaufstellen wie die Nationalgalerien in Berlin, Pinakotheken in München oder das Ludwigforum in Köln gehört. Mit kreativem Rahmenprogramm wie Kindergeburtstage, Hochzeiten oder ähnliches wird versucht, weitere Zielgruppen ins Museum zu 'locken'.

Locken musste mich niemand. Mein Begehr war einfacherer Art, nämlich nochmals die kleine aber feine Gemäldesammlung des 19. Jahrhunderts zu betrachten. Diesmal mit Kamera und Stativ ausgerüstet. Einem leider etwas zu kleinem Stativ. Nahaufnahmen waren deshalb nicht möglich. Aber besser als gar nichts.

Die Homepage des Museums geizt, mir unverständlich, mit Bildern ihrer Sammlung. Es werden zwar die verschiedenen Abteilungen erwähnt, aber nicht mit den Geschmack auf das Original anregenden Fotos unterstrichen. Im Text werden fast beiläufig ein paar Namen (Friedrich, Clorinth, Slevogt) erwähnt, aber nur zwei kümmerliche Bilder sind auf der Homepage (siehe hier) zu finden.

Dabei hat das Museum doch einiges mehr zu bieten als den bekannten Caspar David Friedrich und das Dreigestirn des deutschen Impressionismus (Clorinth, Liebermann und Slevogt) mit ihren für meine Augen meist halbgaren Skizzen.

Nämlich akademische Meister der vordersten Reihe:

Balthasar Denner (1685-1749)
Balthasar Denner (1685-1749) - Bildnis einer alten Frau
Öl auf Leinwand

Beginnen möchte ich mit einem Falschparker. Jemand, der sich durch die Hintertür in die Sammlung geschlichen hat und zum Glück dort belassen wurde. Balthasar Denner. Der Meister ist nämlich über hundert Jahre vor dem 19. Jahrhundert geboren. Denner war zu seiner Zeit ein sehr gefragter Maler. Warum, ist offensichtlich. Seine bis ins kleinste Detail gehenden Bilder wirken auch nach mehr als 200 Jahren unglaublich lebendig und faszinierend. Seine Spezialität war wohl die Darstellung älterer, vom Leben gezeichneter Damen. So wie die hier Abgebildete.

Balthasar Denner (1685-1749) - Bildnis einer alten Frau
Ausschnitt

Ein sehr ähnliches Gemälde (Link) befindet sich zum Beispiel in der Eremitage in St. Petersburg. Qualitativ spielt das Dortmunder Bild (nicht mein Foto, da kommt es nicht ganz so rüber) fast in der gleichen Liga.

Carl Hasenpflug (1802-1858)

Carl Georg A. Hasenpflug (1802-1858) - Klosterruine im Schnee (1849)
Öl auf Leinwand

Als ich dieses Bild zum ersten Mal sah, dachte ich, es wäre ein Lessing. Dieses verlassene Kloster mit seiner Winterlandschaft ist doch zu typisch für Lessing gewesen. Aber es stammt von einem anderen Zeitgenossen der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert. Carl Hasenpflug. Dieser war vor allem für seine Architekturmalerei bekannt, wurde aber, wie Wikipedia lehrt, durch die Bekanntschaft mit dem vielleicht größten damals lebenden Deutschen Maler zu romantischeren Themen bekehrt. Durch genau jenen Carl Friedrich Lessing. Zum Glück, würde ich behaupten. Denn ansonsten würde dieses kleine Meisterwerk nicht entstanden sein.

Carl Georg A. Hasenpflug (1802-1858) - Klosterruine im Schnee (1849)
Ausschnitt

Anton von Werner (1843-1915)

Vom Großmeister aus Berlin sind zwei Bilder zu sehen. Eine kleine, einfach Studie eines Hausmädchens und ein als Geschenk für seine Frau gedachtes Gemälde ihrer ältesten (glaube ich auf jeden Fall aus dem Gedächtnis heraus) Tochter.

Anton von Werner (1843-1915) - Hausmädchen im Garten (Studie) (1898)
Öl auf Pappe

In der Studie hat von Werner mit wenigen, vollen Pinselstrichen (impressionistisch würde man heute sagen) die Kleidung gemalt und etwas detaillierter das Gesicht umgesetzt.

Anton von Werner (1843-1915) - Hausmädchen im Garten (Studie) (1898)
Ausschnitt

Nichts, was er je als eigenständig auszustellendes Bild gedacht hätte, aber wofür man als Museumsbesucher doch dankbar ist.

Anton von Werner (1843-1915) - Hausmädchen im Garten (Studie) (1898)
Ausschnitt

Viel vollendeter ist das Geschenk an seine Frau gemalt. Obwohl nur für den privaten Gebrauch gedacht, zeigt es den großen Könner.

Anton von Werner (1843-1915) - Tochter Hildegard (1893)
Öl auf Leinwand

Die melancholisch blickende Tochter (ungewöhnlich, man erwartet eher ein 'oberflächlich' lachendes Mädchen), mit dem halboffenen Buch in der einen, das Gesicht auf die andere Hand gestützt, scheint tief in Gedanken versunken.

Anton von Werner (1843-1915) - Tochter Hildegard (1893)
Ausschnitt

Für das plätschernde Bächlein oder das leuchtende Blattwerk scheint sie kein Auge zu haben. Ihre Gedanken sind gerade in einer ganz anderen Welt versunken. Wollen wir sie dort in Ruhe lassen und leise einen Schritt zurücktreten, um das Bild im Detail zu bewundern.

Anton von Werner (1843-1915) - Tochter Hildegard (1893)
Ausschnitt

Fantastisches Farbgefühl zeigt von Werner hier gepaart mit stofflicher Greifbarkeit. Das Moos auf den Steinen wirkt noch ganz feucht und der Schaum des herab fließenden Wasser scheint aus dem Bild zu rinnen.

Anton von Werner (1843-1915) - Tochter Hildegard (1893)
Ausschnitt

Dies ist hohe Kunst, mehr eben als ein 'gewöhnliches impressionistisches' Bild, welches meist ein paar nette Farben zu bieten hat aber nicht mehr.

Arthur Kampf (1864-1950)

Nebenan findet sich ein sehenswertes Gemälde von Kaiser Wilhelm I ( Wilhelm I auf dem Katafalk von 1888 - Öl auf Leinwand). Mal nicht gemalt von Anton von Werner, sondern von Arthur Kampf. Da der Maler noch keine 70 Jahre verstorben ist, kann ich dies hier leider nicht abbilden. Im Netz kursiert jedenfalls eine leicht andere Version dieses Gemälde von Kampf (siehe zum Beispiel hier), er scheint es also in mehreren Versionen gemalt zu haben.

Franz von Lenbach (1836-1904)

Franz von Lenbach - Bismarck - Ausschnitt

Von Lenbach darf natürlich auch kein Bild in einer Sammlung der bekannten Meister des 19. Jahrhunderts fehlen. Dortmund hat ein großes Bild Bismarcks aus Lenbachs Hand zu bieten. Bei einem Porträt von Lenbach bildet meist das Gesicht den Anziehungspunkt. So auch hier. Bismarck sitzt müde und kaputt in seinem Sessel. Er wirkt ausgelaugt und krank. Die Augen schauen einen fragend an, warum man ihn in seiner Ruhe stört. Das Foto ist leider leicht verschwommen und wird dem Gemälde nicht ganz gerecht.

Gotthardt Kuehl (1850-1915)

Gotthardt Kuehl (1850-1915) - In der Leihanstalt (um 1873)
Öl auf Leinwand

Eines der wenigen 'Problem'-Bilder der Dortmunder Sammlung ist das Gemälde des Dresdener Maler Gotthardt Kuehl. Geflüchtet von den Blicken Bismarcks bin ich in dieses Pfandhaus eingedrungen, dort, wo verzweifelte, meist ältere Damen ihr letztes Hab und Gut beleihen müssen. Diese Thematik war vor allem in der Mitte des 19. Jahrhundert häufig zu sehen. Einer der bekanntesten Maler solcher Szenen war Carl Wilhelm Hübner. Kuehls Szene wirkt weniger Bühnenhaft und insgesamt lebendiger als zum Beispiel Hübners ca. 30 Jahre vorher entstandenes Werk - Die Schlesischen Weber von 1844.


Konrad Dielitz (1845-1933)

Konrad Dielitz (1845-1933) - Porträt Julie Hiltrop (1797-1876) (1882)
Öl auf Leinwand

Über den Berliner Dielitz sind recht wenig Informationen im Netz zu finden. Er muss ein gefragter Porträtmaler gewesen sein, der sich jedoch auch dem völlig konträren Gebiet der historisch, mythologischen Welt widmete. Im Dortmunder Museum habe ich sein Gemälde eher zufällig gesichtet. Wollte die Sammlung schon verlassen, da sah ich hell erleuchtet in einem Ausstellungs-Wohnraum des 19. Jahrhundert sein Bild der Frau Hiltrop als Einrichtungsgegenstand hängen. Ich hoffe, dieses Foto bietet halbwegs einen Eindruck von der hohen Qualität der Malerei.

Anselm Feuerbach (1829-1880)

Von Feuerbach sind mir zwei Gemälde aufgefallen.

Anselm Feuerbach - Nanna Profil nach rechts (1862)
Öl auf Leinwand

Das Porträt seiner Nanna habe ich schon früher als Buch-Scann in einem anderen Bericht abgebildet. Hier also als eigenes Foto mit Rahmen.

Anselm Feuerbach (1829-1880) - Leontine(1851)
Öl auf Leinwand

Das andere ist eine sehr schöne Kopfstudie aus seiner Pariser Zeit. Faszinierend, wie gelungen das schwarze Haar der Frau gemalt ist. Mit ein paar 'einfachen' Strichen und ein wenig Weiß und Grau an den passenden Stellen glänzt das Haar und wirkt auch live sehr real. Meisterhaft gemalt.

Hans Makart (1840-1884)

Hans Makart (1840-1884) - Prachtpalast (1883)
Öl auf Tusche und Leinwand

Der Wiener Malerfürst gibt sich auch in Dortmund die Ehre. Nicht mit einem für ihn typischen Werk, sondern mit einer Phantasiearchitektur, welche er ein Jahr vor seinem frühzeitigen Tod gemalt hat. Dieses Architekturbild ist eines von vier zusammengehörenden Bildern, welche Makart ohne konkreten Anlass gemalt hat.

Hans Makart (1840-1884) - Prachtpalast (1883)
Ausschnitt

Laut Informationstafel wurden
Die Entwürfe wurden zusammen 1883 im Pariser Salon und noch im selben Jahr im Münchner Glaspalast ausgestellt.
Der hier abgebildete imposante Aufriss ist schätzungsweise 4 Meter breit (leider sind in Dortmund keine Größenangaben auf den Begleitplaketten angegeben) und nimmt eine ganze Wandseite ein. Teilweise kommt noch die Unterzeichnung auf dem Bild hervor.

Hans Makart (1840-1884) - Prachtpalast (1883)
Ausschnitt

Ich habe noch nicht viele farbige Architekturzeichnungen gesehen, aber diese dürfte von 1A Qualität sein. Die Gegenstücke sind glaube ich auf artrenewal.org abgebildet, siehe hier.

Walter Leistikow (1865-1908)

Walter Leistikow (1865-1908) - Breege auf Rügen (1908)
Öl auf Leinwand

Die Überraschung dieser Ausstellung ist für mich das Gemälde von Leistikow. Normalerweise gefallen mir, wie schon oft erwähnt, Impressionisten nicht besonders. Ich erhoffe mir meist, dass der Maler mal nicht, wie Adolf Menzel (ach ja, von ihm gibt es ein Bild mit kaum noch erkennbaren, fast schwarzen Inhalt - wird wohl nur für die Statistik, dass er auch in Dortmund vertreten ist, ausgestellt sein) es formuliert hat, zu faul war, sondern den ersten Eindruck weiter veredelt. So wie das oben beschriebenen Gemälde von Anton von Werner.
Eines der wenigen 'impressionistischen' Bilder (und ich habe von allen bekannten Impressionisten Bilder live und in Farbe gesehen), bei dem mir nichts fehlt, ist dieses Gemälde von Leistikow.

Walter Leistikow (1865-1908) - Breege auf Rügen (1908)
Ausschnitt

Der leuchtend weiße (auf dem Foto zu dunkel), grob aufgetragene Himmel ist der Anziehungspunkt dieses Bildes. Er glänzt schon von weiter Entfernung zum Bild und zieht einen magisch an. Geschickt sind weitere Weißtöne auf dem Bild verteilt und geben dem ganzen einen harmonischen Eindruck, der durch die kräftig dunkelgrüne Wiese abgerundet wird.

Andreas Achenbach (1815-1910)

Andreas Achenbach (1815-1910) - Nordisches Gebirge im Winter (Felsenlandschaft) (1838)
Öl auf Leinwand

Zuletzt das meiner Meinung nach beste Bild der ganzen Sammlung. Man wird durch die Raumaufteilung in einen neuen Bereich gelenkt und fühlt sich plötzlich in eine raue, von mächtigen Bergen gesäumte Landschaft Skandinaviens versetzt. Die Bergkette ist noch Nebelverhangen. Kein Zeichen von Zivilisation weit und breit. Nur zwei Greifvögeln scheinen in dieser unwirtlichen Gegend zu Hause zu sein.

Andreas Achenbach (1815-1910) - Nordisches Gebirge im Winter (Felsenlandschaft) (1838)
Ausschnitt

Ich war direkt begeistert von dem Gemälde und leicht überrascht zu lesen, dass es von Andreas Achenbach war. Nicht überrascht wegen der Qualität, sondern wegen der Größe. Ich hatte nämlich bisher nur kleinere Gemälde Achenbachs gesehen, dies ist das erste monumentalere Bild, ich schätze 2 mal 3 Meter groß. Von feinen Details wie den Eiszapfen unten auf dem großen Felsen, den unterschiedlichen Herbstfarben
bis zu den fantastisch gemalten Nebel des Hintergrunds bietet dieses Gemälde alles, was man von einem reinen Landschaftsbild nur erhoffen kann.

Andreas Achenbach (1815-1910) - Nordisches Gebirge im Winter (Felsenlandschaft) (1838)
Ausschnitt

Andreas Achenbach (1815-1910) - Nordisches Gebirge im Winter (Felsenlandschaft) (1838)
Ausschnitt

Ein Meisterwerk des damals erst 23 Jahre alten Andreas Achenbach.

Andreas Achenbach (1815-1910) - Nordisches Gebirge im Winter (Felsenlandschaft) (1838)
Ausschnitt

Donnerstag, 31. Dezember 2009

Wilhelm Bernatzik und die Kunst des Vergessens

Lauf der Zeit
Das Leben ist vergänglich. Altes macht Platz für Neues. Was heute noch beliebt und bekannt war, ist morgen vergessen. Für Manchen ist das ein schwer zu akzeptierender Lauf der Geschichte, aber das Rädchen lässt sich nicht zurückdrehen. Wir heute lebenden Normalsterblichen sind in ein, zwei, maximal drei Generationen schon wieder vergessen.

Vergessene Künstler
Doch nicht nur uns widerfährt dieses Schicksal, auch zu ihrer Zeit bekannte und relativ bedeutende Menschen sind bald im  dunklen Teil der Geschichte verschwunden.
Die Kunstwelt macht da natürlich keine Ausnahme. Was gerade noch große Mode war, gilt kurze Zeit später als veraltet und vergilbt.

In wohl keiner Epoche folgten die Stufen so krass aufeinander wie Ende des 19, Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Jahrhunderte alte große Tradition der in langjähriger Arbeit ausgebildeten Meister fand ihr jähes Ende mit dem Aufkommen modernerer Richtungen, bei denen das Können immer weniger Bedeutung hatte. Große Meister ihres Pinsels, die zu anderen Zeiten ruhmreich verstorben wären, sahen ihr Lebenswerk durch die Vergötterung des Nichtskönnertum zerstört.

Tod und Wiederauferstehung
Ein filmreifes Paradebeispiel ist hierfür das Leben des Malers John William Godward. In einer Kunstwelt, in der die Spielereien eines Picasso als Geniestreiche gepriesen wurden, sah er keinen Platz mehr für sich und seine Kunst und beendete vorzeitig sein Leben.
Die Kunst der Dilettanten konnte seinen Ruhm jedoch nicht für immer unterdrücken. In den letzten Jahrzehnten erlebte sein Werk eine Renaissance und seine Gemälde erzielen heutzutage wieder stattliche Preise. Sein Leben ist bestens dokumentiert und frei im Web nachzulesen. Siehe zum Beispiel hier.

Auf der Welle und dann für immer unter ihr
Das Wiederauferstehen des Ruhms ist vielen anderen jedoch nicht vergönnt. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel, über den ich im Folgenden berichten möchte, ist der österreichische Maler Wilhelm Bernatzik. Einer jener verlorenen Generation, die ich an anderer Stelle erwähnt habe.

Dieser Maler schwamm auf der Welle des Zeitgeists. Er errang mehrere Medaillen und seine Bilder verkauften sich gut. Doch nicht nur das. Er war eine historisch wichtige Figur an der Schnittstelle zwischen Impressionismus und Sezession. Eigentlich war er zur richtigen Zeit am richtigen Ort, aber nicht mal als kleines Rädchen ist er in die Kunstgeschichte eingegangen.

Wilhelm Bernatzik - Das Begräbnis (1880)

Minimale Infos
Die paar Bilder und Informationen, die im Internet zugänglich sind, habe ich alle in diesem Artikel eingebaut. Wahrlich nicht viel. Das Problem ist, dass sein Leben von anderen Köpfen, speziell Gustav Klimt, überschattet wird, die Bernatziks Nachruhm in den Boden der Vergessenheit versenkten, aus dem er bis heute nicht emporgehoben wurde.

Verkörperung des Wandels
Aus kunstgeschichtlicher Sicht ist dies, so meine Meinung, nicht zu begründen, da er den Wandel vom technisch versierten, klassisch ausgebildeten akademischen Maler zum Impressionisten deutschsprachiger Prägung und Begründer des Jugendstils (keine einheitlich Kunst- eher eine Zeitströmung) in Österreich wie kein Zweiter verkörpert. Ein Zeitgenosse beschrieb dies als Wandlung vom Saulus(~Akademiker) zum Paulus(~Impressionist). Ich würde dies natürlich genau andersherum sehen.

Akademische Grundlagen
Wie dem auch sei. Bernatzik hatte Talent. Und so wundert es nicht, dass er eine angestrebte juristische Ausbildung unterbrach, um seinem wahren Naturell, der Kunst, Gehör zu verschaffen.
In Wien und Düsseldorf wurde die Basis gelegt und in Paris, beim weltberühmten Léon Bonnat, einen der besten Porträtisten seiner Zeit, holte er sich den letzten Schliff.
Eine Ausbildung, von der heutige Maler nur träumen können. Alles war vorbereitet für eine stattliche Karriere und die ersten Lobesworte und Medaillen trudelten ein.

Die beiden nachfolgenden Bilder zeigen, soweit es die kleinen Abbildungen zulassen, gut die akademisch geschulte feine Zeichnung, Malweise und Bildkomposition, welches vieles weitere erhoffen lies.

Wilhelm Bernatzik - Die Vision des Heiligen Bernhard (1887)
Öl auf Leinwand (105 x 201 cm)

Wilhelm Bernatzik - Klosterwerkstätte

Impressionismuswalze
Aber im Hintergrund wälzte der Impressionismus seine Bahnen und ließ auch den Österreicher, der in Paris hautnahen Kontakt mit den Anfängen der Bewegung hatte, nicht unbeeindruckt. Das Malerische, wie es damals bezeichnet wurde (ich würde eher sagen studienhafte), zog ihn an. Nicht aus mangelnder Alternative, sondern aus Überzeugung.

Deutsche Art
Und mit seiner Art von Impressionismus, die er später entwickelte, kam er den deutschsprachigen Kritikern sehr entgegen. Ein Hecheln nach den neusten Trends aus Frankreich war vielen ein Graus.
Das deutsche Reich hatte zwar den Krieg gewonnen, aber an künstlerischem Selbstvertrauen mangelte es umso mehr. Wo war das Tiefsinnige und Nachdenkliche, welche die Deutschen, und wohl auch die Österreicher, damals als ihre Eigenschaften betrachteten?
Diese oberflächliche, nur dem ersten Schein/Impression dienende Malerei, war vielleicht dem Franzosen innewohnend, aber nicht zum deutsch, naiv, männlichen Gemüt passend.
So oder ähnlich waren die Formulierungen zur damaligen Zeit. Wenn schon Impressionismus, dann sollte die Themen ernster, poetischer, eben deutscher sein.

Nachdenken mit großen Titeln
Und in dieser Kerbe schuf Bernatzik seine Bilder. Nicht den tausendsten, einfach nur schön wirkenden Seerosenteich in der Art eines Monet wollte er schaffen. Nein, seine Bilder sollten Tiefgang haben, den Betrachter ansprechen und zum Nachdenken bringen. Dies trifft auf sein 1903/1904 gemaltes und nachfolgend abgebildetes Gemälde Eingang zum Paradies mit Sicherheit zu.

Wilhelm Bernatzik - Eingang zum Paradies (1903-1904)

Impressionistisch grober Farbauftrag gepaart mit einem bedeutungsvollen Titel.
Dies war mehr als ein 'nett, schön anzusehendes' Bild. Der Betrachter sollte über den Sinn des Lebens und das für uns alle kommende Ende nachdenken. Ein Werk, wie es den Kritikern im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn bestimmt gefallen hat.

Eventmanager
Wilhelm Bernatzik war nicht nur als Künstler vom Impressionismus beeinflusst, auch als Organisator der ersten, allumfassenden Impressionismus-Ausstellung im deutschsprachigen Raum, 1903 in den Räumen der Wiener Sezession, schuf er bemerkenswertes. Zusammen mit dem Berliner Kunstkritiker Julius Meier-Graefe stellte er eine Show auf die Beine, welche die Impressionismus-vernarrten Kritiker jener Zeit begeistert aufnahmen.
Das ist eine der wertvollsten Ausstellungen, die bisher in Wien veranstaltet wurden.
Erstaunlich ist die Reichhaltigkeit der Ausstellung, die Vollständigkeit, mit welcher der große evolutive Kunstmoment, der unsere Epoche charakterisierte, dargestellt ist.
Hier waren aufgrund der guten Kontakte Bernatzik nach Frankreich, Holland und Belgien nicht nur die großen Köpfe Monet, Renoir, Sisley oder Pissarro vertreten. Mehr noch. Die gesamte Bandbreite von Manet, Corot, Rodin, van Gogh und Vorläufern wie Goya oder Velázquez war zu sehen.
Ein neuerlicher Höhepunkt war die 16. Secessionsausstellung vom 17. 1. bis 1. 3. 1903, die durch Reisen des Präsidenten Wilhelm Bernatzik nach Amsterdam, Den Haag, Brüssel und Paris vorbereitet worden war und nach schwierigen Verhandlungen vor allem mit privaten Leihgebern realisiert werden konnte.

Wilhelm Bernatzik - Motiv aus Weissenkirchen an der Donau
Öl auf Leinwand (50 x 80 cm)

Trennungen und Strahlemann
Organisiert werden konnte dies von Bernatzik nur, weil er genau in diesem Jahr, von 1902 bis 1903, Vorsitzender der Wiener Sezession war. Jenem Bund, den er als Abtrennung vom offiziellen akademischen Betrieb als einer der wenigen 'Alten' mitbegründet hatte. Diese Vereinigung wird heute meist nur mit einem Namen verbunden, der alle anderen überstrahlt. Gustav Klimt.
Zu Klimt wird man an allen Ecken und Enden mit Büchern, Abbildungen und Informationen erschlagen. Auf ihn haben sich alle Kunstinteressierten gestürzt und bis zur Farbe seiner Bettwäsche ist wohl alles bekannt.
Aber Bernatzik wird, auf jeden Fall in dem Buch, welches ich über Klimt habe, mit keinem Wort erwähnt. Dabei war Bernatzik ein Weggefährte Klimts. Beide beteiligten sich an vielen Ausstellungen der Sezession und bestimmten ihre Marschrichtung. Einer Marschrichtung, die jedoch nicht ganz unumstritten war. Denn schon acht Jahre später trennten sich Künstler um Klimt und Bernatzik von der Wiener Sezession und gründeten 1905 ihre eigenes Grüppchen. Trennung von der Trennungsgruppe also. Warum auch nicht, Jedem das Seine.

Wilhelm Bernatzik - Schäfer am Lagerfeuer - Öl auf Leinwand (95 x 73 cm)

Totenstarre
Lange währt die Trennungsfreude jedoch nicht. Denn schon im drauf folgenden Jahr, im November 1906, verstarb der zu Lebzeiten hoch angesehene Maler. Nach einer großen Gedenkausstellung 1907, die seine Wiener Freunde ihm widmeten, wurde es schnell still um Bernatzik. Seitdem hat ihn kein deutscher/österreichischer Kurator oder Kunsthistoriker mehr aus der Versenkung geholt.

Zurück zum Lebenden

Wilhelm Bernatzik - Selbstbildnis - Kohlezeichnung

Zur Beschreibung seiner Person muss man schon auf zeitgenössische Quellen zurückgreifen:
Er hatte vor allem Begeisterung und die Brüder gehörten zu den vielen jungen Wienern, die seinerzeit zu Fuße nach Bayreuth pilgerten. Seine derbkräftige Anlage gestattete ihm das; er war auch später immer zu physischer Anstrengung aufgelegt und insbesondere ein leidenschaftlicher Radler, als solcher in etwas abenteuerlich grobem Dreß eine bekannte Figur. Auch sein mächtiger Kopf, mit den
tiefgefurchten Zügen, ließ nicht ahnen, daß er ein fein gestimmtes Gehirn barg. (Ludwig Hevesi - Kunstchronik und Kunstmarkt)
Vom selben Autor stammt eine Schilderung der von Impressionismus und Freilichtmalerei beeinflussten Malweise Bernatziks.
Seine eigene Malerei vertiefte und beseelte sich in der Wechselwirkung dieser Gemeinschaft von Jahr zu Jahr. Gleich seine ersten Bilder ließen es erkennen und fanden sämtlich Käufer.
Meist grüne, durchfeuchtete Bilder, mit einem leuchtenden Schwall von Wasser und purpurglühenden Blumen; Märchenschauplätze gleichsam. Dann warf er sich ins Gegenteil und malte in Neunkirchen am Steinfelde die staubtrockenen, staubgrauen Dämmerungen dieser für Wien sprichwörtlichen Einöde, aber auch die lauschige
Abendstille in den ländlichen Gäßchen mit ihren einsamen Laternen, die ein irisfarbener Hof umgibt. Gelegentlich stieg er sogar zu einem Weihnachtstableau mit geflügelten Engeln auf. Und zuletzt sah man von ihm ein ganzes Gemach, auf Gelb gestimmt, mit landschaftlichen Panelen von rosig-violettem Farbenhauch, denen man übrigens den Einfluß der Klimtschen Landschaften ansah.

Wilhelm Bernatzik - Das Paradies - Tryptychon (1904)

Er war ohne Zweifel in steter Vertiefung und Vergeistigung begriffen,
man durfte da noch viel Gutes erwarten.

Ich brauche mehr Details
Für die Statistiker zuletzt ein tabellarischer Lebenslauf, soweit es die im Internet verfügbaren Informationen hergeben:
  • 1853: Geboren am 18. Mai 1853 in Mistelbach (Niederösterreich). Bruder des Staatsrechtlehrers Hofrats Prof. Dr. Edmund Bernatzik.
  • 18xx: Beginn eines Jurastudiums in Wien
  • 1873: Abbruch, um an der Akademie der bildenden Künste Wien unter Eduard Peithner von Lichtenfels die Spezialschule für Landschaftsmalerei zu besuchen
  • 1875: Erhielt er die goldene Füger-Medaille für eines seiner ersten Werke Kain erschlägt seinen Bruder Abel
  • 187x: Großes Bild Sturm an der Küste von Istrien
  • 1875 - 1878: Studium an der Düsseldorfer Akademie, wo er vor allem Wald- und Sumpflandschaften malte
  • 18xx: Gemälde Jahrmarkt in Lundenburg
  • 1878 - 188x: Studium bei Léon Bonnat in Paris. Porträt und Figurenmalerei
  • 1880: Ab diesem Jahr war er Mitglied im Wiener Künstlerhaus bis zur Gründung der Sezession 1897
  • 1880: Ausstellung Künstlervereinigung Wien; Zeichnung mit dem Titel Landschaft
  • 1881: Prozession in Dürnstein an der Donau
  • 1884: Gemälde Der alte Prokop in seinem Obstgarten
  • 1885: Zyklus der vier Jahreszeiten (Frühling - Spiel der Jugend, Sommer - Schweiße harter Arbeit, Herbst - Ermüdet von der Last des Lebens, Winter - Im Tode), wobei mindestens der Herbst später mit geringen Abweichungen kopiert wurde
  • 1887: Gemälde Die Heilsboten
  • 1887: Gemälde Die Vision des heil. Bernhard im Kreuzgang des alten Stifts Heiligenkreuz gemalt, welches für die kaiserliche Galerie erworben wurde. Dort wurde ebenfalls, vielleicht zur gleichen Zeit, sein eine Madonna anmalender Mönch, Klosterwerkstätte, gemalt.
  • 1888: Silberne Staatsmedaille (wo?)
  • 1889: Bronze Medaille Weltausstellung Paris
  • 18xx: Gemälde Abenddämmerung, Franz Josefs-Quai, Träumerei
  • 18xx: Viele Bilder, Skizzen und Zeichnungen der Umgebung Lundenburgs, die er vielfach besuchte und dort vom Fürsten Wohnräume in dessen Schloss zur Verfügung gestellt bekam
  • 1891: Internationale Kunstausstellung Verein Berliner Künstler
    Bilder: Heiligenkreuz bei Baden in Österreich, Auf dem Kreuzwege und Der Versehgang
  • 1893: Teilnahme Weltausstellung in Chicago. Medaille(welche?) für sein Gemälde Vision des heiligen Bernhard
  • 1894: Teilnahme an der Internationalen Ausstellung in Brüssel
  • 1894: Teilnahme an der Internationalen Ausstellung in Antwerpen. Medaille 2ter Klasse
  • 1894: Juror bei der 3 Internationalen Kunstausstellung in Wien
  • 1897: Gründungsmitglied(insgesamt 40 Personen) der Wiener Sezession am 3 April. Austritt aus dem Künstlerhaus.
  • 189x-19xx: Bilder für die Vereinszeitschrift Ver Sacrum.
  • 1898: Teilnahme 1 Sezessionsausstellung und Kommissionsmitglied
  • 1898: Ausstellung 50jähriges Kaiserjubiläum in Troppau
  • 1898: Dämmerungsbilder
  • 1899: Teilnahme Sezessionsausstellung
  • 1899: Gemälde Märchensee wurde direkt an das Hofmuseum verkauft
  • 1899: In den Ausschuss der Generalversammlung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs gewählt
  • 1900: Teilnahme Sezessionsausstellung
  • 1902: Teilnahme Sezessionsausstellung
  • 1902: Gemälde Die Flamme(Felsenschlucht, vier bläulich verschleierte Frauen beschwören gelblich loderndes Feuer)
  • 1902-1903: Präsident der Wiener Szcession
  • 1903: Große Impressionismus-Ausstellung zusammen mit Josef Engelhart und Julius Meier-Graefe organisiert
  • 1903-1904: Gemälde Eingang zum Paradies
  • 190x: Gemälde für das Naturhistorische Hofmuseum in Wien. Goldgewinnung in Nevada und Goldbergbau von Vorospatak, Siebenbürgen.
  • 1904: Im Rahmen der Sezessionsausstellung ein eigener, künstlerisch eingerichteter Raum. Gelbe Wände mit violett-rosigen Gemälden.
  • 1905: 14. Juni Abspaltung von der Wiener Sezession mit Klimt und anderen Künstlern
  • 1906: Nach längerer Krankheit (mehrere schwere 'Anfälle') gestorben am 25. Nov. 1906 in Hinterbrühl in der Villa seines Schwagers Marx an der Thalstrasse nach Gaaden.
  • 1907: Große Gedächtnisausstellung in der Galerie Miethke.

Wunsch

Wilhelm Bernatzik - Weiher (um 1900) (100 x 71 cm)

Ich würde mir wünschen, mehr von diesem akademisch geschulten Maler zu sehen. Vor allem große, farbige Aufnahmen. Erst dann kann man Bernatzik Leistung und Können wirklich beurteilen. Auch wenn ich kein begeisterter Anhänger des Impressionismus bin, bietet die poetische Malerei, wie es seine Zeitgenossen formulierten, bestimmt einen angenehmen Kontrast zu den alles überstrahlenden Köpfen Klimt, Monet oder Renoir.